Donnerstag, 29. Oktober 2009

Ein überfälliges Internet-Manifest

Es war längst überfällig! Jetzt haben Journalisten, Autoren und Wissenschaftler ein „Internet-Manifest“ formuliert. 15 Verfasser haben 17 Punkte zum Wandel des Journalismus im Internet-Zeitalter aufgestellt. Übersetzt in bislang 17 Sprachen spricht sich das Manifest für einen qualitativen, die digitalen Möglichkeiten nutzenden Online-Journalismus aus. Dafür fordern die Verfasser, die Blockadehaltung von Seiten printorientierter Berufsschreiber aufzugeben und einen Wahrnehmungswandel anzustreben. So könne das Internet den Journalismus nicht nur verändern, sondern ihn sogar verbessern, heißt es bei Punkt 6. Der Verlust der printbedingten Unveränderlichkeit im Onlinemdium sei ein Gewinn, so die Verfasser. Dem ist zweifellos beizupflichten. Was hätte wohl die Frankfurter Rundschau getan, hätte sie ihre Fotostrecke über weinende Prominente mit dem Titel „Prominente Heulsusen“ in der Zeitung gedruckt (vgl. Stefan Niggermeiers Blogeintrag)? Es hätte haufenweise Leserbriefe gehagelt – und eine Gegendarstellung in Form einer Entschuldigung wäre angesichts des geschmacklosen Titels (es sind überwiegend Tränen der Trauer) fast schon geboten gewesen. Dank Online-Medium konnte die Frankfurter Redaktion den Titel mit einem Klick ändern. Er lautet jetzt „Prominente Tränen“. Zweifellos ist das Internet auch ein Ort für den politischen Diskurs, erst recht auch für den gesellschaftlichen (wie man erweitern könnte). Die Autoren konstatieren auch, dass es kein „Zuviel“ an Informationen gibt. Im Hinblick auf den Information-Overkill des Internets müsste man sicher ergänzen, dass unsere Selektionsfähigkeit zunehmend gefordert ist und sie eben auch geschult werden muss. Es ist letztlich die Wahl jedes einzelnen Nutzers, mit welchen Seiten er seinen täglichen Informationsbedarf deckt, und welche Sites seine Linklisten zieren. Gerade RSS-Feeds und Trackback-Funktionen erleichtern den Umgang mit Informationen. Die Entwicklungen in diese Richtung werden weiter gehen. Und möglicherweise ist diese große Informationskette keine Bedrohung sondern eine Chance. Im Internet würde das Urheberrecht zur Bürgerpflicht, heißt es dort auch. Dabei dürfe seine möglich werdende Verletzung nicht als Rechtfertigung für alte Distributionsmodelle dienen. Des Weiteren seien die Inhalte im Netz nicht mehr flüchtig, wie immer wieder bemängelt, sondern bleiben vorhanden und formieren sich zu einem „Archiv der Zeitgeschichte“. Nicht umsonst lautet das Diktum: Das Netz vergisst nie. Oder wie es im Manifest steht: „Was im Netz ist, bleibt im Netz.“ Im finalen Punkt fordern die Verfasser, die Recherche-Fähigkeiten der Nutzer von Seiten der Berufsrechercheure zu respektieren und mit ihnen zu kommunizieren. Auch diese Forderung ist zweifellos berechtigt. Letztlich deuten alle Punkte auf eine bestimmte Tatsache hin, die jedoch nicht ausgeführt wird. Und das wäre Punkt 18, der möglicherweise das Manifest selbst ad absurdum führen würde: Die Unterscheidung zwischen Leser und Autor ist hinfällig geworden. So sind die passiven Nutzer von einst die neuen Schreiber: Autoren, Journalisten, Verfasser. Das Netz ist die Erfüllung zahlreicher mediengeschichtlicher- und philosophischer Utopien: Schon Walter Benjamin wusste: Indem das Schrifttum an Breite gewinnt, was es an Tiefe verliert, gewinnen die Leser einen Zugang zur Autorschaft. Auch Berthold Brechts Forderung, den Rundfunk in einen beidseitig offenen Kommunikationsapparat zu wandeln und ihn vom reinen Zustand des Lieferantentums zu befreien, ist im Netz längst Wirklichkeit geworden. Diese Entwicklung hin zu masssenweiser Autorschaft (Norbert Bolz; Christian Hensen) muss nicht das Aus für qualitativen Journalismus bedeuten. Vielmehr ist er gefordert, noch besser zu werden und sich den Herausforderungen einer ernst zu nehmenden Gegenöffentlichkeit zu stellen. Zunehmend entdecken Zeitungsredaktionen die partizipativen Möglichkeiten, mit Lesern in Kontakt zu treten. So schreiben die Redakteure Weblogs, Twittern oder sind in sozialen Netzwerken aktiv. Es bleibt abzuwarten, ob sich Synergieeffekte entwickeln und wie man diese am besten nutzt. Eine Ignoranz neuer Medien von Seiten der alten Medien würde langfristig gesehen zur Selbstzerstörung führen. Das Internet-Manifest stellt fest, rüttelt wach, fordert. Es wurde bislang heftig diskutiert. Der Diskurs findet noch ausschließlich im Internet statt. Er muss diese Grenzen endlich überwinden!

Das Internet-Manifest wird nachfolgend in voller Länge „abgedruckt“:

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1. Das Internet ist anders.

Es schafft andere Öffentlichkeiten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. Die Medien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität anpassen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln - das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein.

2. Das Internet ist ein Medienimperium in der Jackentasche.

Das Web ordnet das bestehende Mediensystem neu: Es überwindet dessen bisherige Begrenzungen und Oligopole. Veröffentlichung und Verbreitung medialer Inhalte sind nicht mehr mit hohen Investitionen verbunden. Das Selbstverständnis des Journalismus wird seiner Schlüssellochfunktion beraubt - zum Glück. Es bleibt nur die journalistische Qualität, die Journalismus von bloßer Veröffentlichung unterscheidet.

3. Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet.

Für die Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt gehören Angebote wie Social Networks, Wikipedia oder Youtube zum Alltag. Sie sind so selbstverständlich wie Telefon oder Fernsehen. Wenn Medienhäuser weiter existieren wollen, müssen sie die Lebenswelt der Nutzer verstehen und sich ihrer Kommunikationsformen annehmen. Dazu gehören die sozialen Grundfunktionen der Kommunikation: Zuhören und Reagieren, auch bekannt als Dialog.

4. Die Freiheit des Internet ist unantastbar.

Die offene Architektur des Internet bildet das informationstechnische Grundgesetz einer digital kommunizierenden Gesellschaft und damit des Journalismus. Sie darf nicht zum Schutz der wirtschaftlichen oder politischen Einzelinteressen verändert werden, die sich oft hinter vermeintlichen Allgemeininteressen verbergen. Internet-Zugangssperren gleich welcher Form gefährden den freien Austausch von Informationen und beschädigen das grundlegende Recht auf selbstbestimmte Informiertheit.

5. Das Internet ist der Sieg der Information.

Bisher ordneten, erzwungen durch die unzulängliche Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffentliche Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun richtet sich jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter ein, während Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekanntem Umfang erschließen. Der einzelne Mensch kann sich so gut informieren wie nie zuvor.

6. Das Internet verändert verbessert den Journalismus.

Durch das Internet kann der Journalismus seine gesellschaftsbildenden Aufgaben auf neue Weise wahrnehmen. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich ständig verändernder fortlaufender Prozess; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in dieser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue journalistische Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.

7. Das Netz verlangt Vernetzung.

Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.

8. Links lohnen, Zitate zieren.

Suchmaschinen und Aggregatoren fördern den Qualitätsjournalismus: Sie erhöhen langfristig die Auffindbarkeit von herausragenden Inhalten und sind so integraler Teil der neuen, vernetzten Öffentlichkeit. Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermöglichen überhaupt erst die Kultur des vernetzten Gesellschaftsdiskurses und sind unbedingt schützenswert.

9. Das Internet ist der neue Ort für den politischen Diskurs.

Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Die Überführung der politischen Diskussion von den traditionellen Medien ins Internet und die Erweiterung dieser Diskussion um die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ist eine neue Aufgabe des Journalismus.

10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.

Artikel 5 des Grundgesetzes konstituiert kein Schutzrecht für Berufsstände oder technisch tradierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die technologischen Grenzen zwischen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Qualitativ zu unterscheiden ist nicht zwischen bezahltem und unbezahltem, sondern zwischen gutem und schlechtem Journalismus.

11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information.

Es waren einst Institutionen wie die Kirche, die der Macht den Vorrang vor individueller Informiertheit gaben und bei der Erfindung des Buchdrucks vor einer Flut unüberprüfter Information warnten. Auf der anderen Seite standen Pamphletisten, Enzyklopädisten und Journalisten, die bewiesen, dass mehr Informationen zu mehr Freiheit führen - sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

12. Tradition ist kein Geschäftsmodell.

Mit journalistischen Inhalten lässt sich im Internet Geld verdienen. Dafür gibt es bereits heute viele Beispiele. Das wettbewerbsintensive Internet erfordert aber die Anpassung der Geschäftsmodelle an die Strukturen des Netzes. Niemand sollte versuchen, sich dieser notwendigen Anpassung durch eine Politik des Bestandsschutzes zu entziehen. Journalismus braucht einen offenen Wettstreit um die besten Lösungen der Refinanzierung im Netz und den Mut, in ihre vielfältige Umsetzung zu investieren

13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.

Das Urheberrecht ist ein zentraler* Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet.
*) Stilblüten-Alarm aufgehoben

14. Das Internet kennt viele Währungen.

Werbefinanzierte journalistische Online-Angebote tauschen Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbebotschaften. Die Zeit eines Lesers, Zuschauers oder Zuhörers hat einen Wert. Dieser Zusammenhang gehört seit jeher zu den grundlegenden Finanzierungsprinzipien für Journalismus. Andere journalistisch vertretbare Formen der Refinanzierung wollen entdeckt und erprobt werden.

15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.

Das Internet hebt den Journalismus auf eine qualitativ neue Ebene. Online müssen Texte, Töne und Bilder nicht mehr flüchtig sein. Sie bleiben abrufbar und werden so zu einem Archiv der Zeitgeschichte. Journalismus muss die Entwicklungen der Information, ihrer Interpretation und den Irrtum mitberücksichtigen, also Fehler zugeben und transparent korrigieren.

16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.

Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.

17. Alle für alle.

Das Web stellt eine den Massenmedien des 20. Jahrhunderts überlegene Infrastruktur für den gesellschaftlichen Austausch dar: Die “Generation Wikipedia” weiß im Zweifel die Glaubwürdigkeit einer Quelle abzuschätzen, Nachrichten bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen und zu recherchieren, zu überprüfen und zu gewichten – für sich oder in der Gruppe. Journalisten mit Standesdünkel und ohne den Willen, diese Fähigkeiten zu respektieren, werden von diesen Nutzern nicht ernst genommen. Zu Recht. Das Internet macht es möglich, direkt mit den Menschen zu kommunizieren, die man einst Leser, Zuhörer oder Zuschauer nannte - und ihr Wissen zu nutzen. Nicht der besserwissende, sondern der kommunizierende und hinterfragende Journalist ist gefragt.

Internet, 07.09.2009

Wer dabei mithelfen möchte, diesen Text weiterzuentwickeln, kann das gerne hier tun.

[Update: ] Nachgereichter Beipackzettel von Stefan Niggemeier

Quelle: Internet-Manifest

Montag, 19. Oktober 2009

Frankfurter Buchmesse: Angst vor dem E-Book

Die Krise hat auch die Buchmesse in Frankfurt erreicht. Aber es gibt weder zu wenig gute Bücher noch gibt es zu wenig interessierte Leser. Die Krise betrifft das Dazwischen. Wie kann man Leser und Bücher über unterschiedliche Kanäle zusammenbringen? Und wie lässt sich dabei obendrein noch etwas verdienen? Antworten auf die Fragen verlangen nach einem Umdenken, nach einer Auflösung festgefrorener Strukturen, die einem von Bewegung abhängigen Buchmarkt die Dynamik entzieht. E-Book heißt das Gebot der Stunde. Gerade schon aus der Taufe gehoben, gilt es fast schon als Mythos. Es ist ein neues Medien-Dispositiv zwischen Hoffnung und Bangen. Vielen Verlegern treibt das E-Book gar die Angstperlen auf die Stirn - aus Sorge vor Urheberrechtsverletzungen durch illegale Downloads. Angesichts einer überschaubaren Zahl von 65.000 verkauften E-Books in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres, ist das E-Book bislang ohnehnin kein Frontalangriff auf das „physische Buch“ (zum Vergleich: In den USA werden 10 Mal so viele pro Woche verkauft). Vielmehr müssen beide Medienformen, das gedruckte und gescannte Buch eine sinnvolle Verbindung eingehen. Das pünktlich zur Buchmesse in Deutschland erhältliche Lesegerät „Kindle“ von Amazon ist ein wichtiger Schritt in die mediale Zukunft. Jedoch muss sich der Reader hinsichtlich Komfortabilität und Alltagstauglichkeit erst noch bewähren. Die Buchmesse muss zum Anlass genommen werden, einen öffentlichen Diskurs über digitalisierte Bücher und elektronische Formate zu führen. Zudem müssen Strategien für die Eindämmung der illegalen Nutzung entwickelt werden. Es schadet keineswegs, wenn sich die neue Regierung unter Kanzlerin Merkel dieses Projekt auf die Fahnen schreibt, denn nach Milliarden Einbußen auf dem Musikmarkt durch illegale Downloads droht nun das gleiche Dilemma für eingescannte Buchtitel. Auch diese können über einschlägige Filesharing-Programme mühelos aus dem Netz heruntergeladen werden. Viele E-Book-Verlage versuchen den illegalen Anbietern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig das neue Medium E-Book den potentiellen Käufern näher zu bringen: Indem sie kostenlose Downloads ganzer Bücher auf den Verlagspages anbieten. Diese Präsente sind ganz nett, aber auch hier ist fraglich, ob sie nachhaltigen Erfolg bringen werden.
Auf der ersten „Tools of Change“ (TOC-) Konferenz am Rande der Frankfurter Buchmesse, auf der unter der Schirmherrschaft von Web 2.0-Erfinder Tim O´Reilly über die Digitalisierung des Buches diskutiert wurde, lautete denn auch die zentrale Botschaft: We just don´t know. Es gibt bislang noch keine Zahlen über einscannte Buchtitel, illegale Downloads und vor allem über deren Auswirkungen auf das traditionelle Buchgeschäft. Und zum Zahlenmangel gesellt sich der Erfahrungsmangel. Wie wird sich das E-Book entwickeln, welches Standartformat wird sich etablieren, welches Lesegerät wird sich durchsetzen, und gibt es in Europa überhaupt einen Markt für das elektronische Buch, eine Leserschaft, die wie in den USA ihr Geld auch für E-Books auszugeben bereit ist? Wie bereits erwähnt, sind 65.000 hierzulande verkaufte E-Books nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die zentrale Frage muss lauten: Wie kann man potentielle Käufer für das Medium E-Book nicht nur gewinnen, sondern sie auch begeistern: Ein paar Punkte könnten etwa sein: 1. Das E-Book auf dem Reader gelesen, vergilbt, verknickt, verblasst nicht. Es ist dauerhaft archivierbar. Sofern eine sichere Datenhaltung garantiert ist. 2. Es kann auf dem beleuchteten Display vielleicht komfortabler gelesen werden, als ein Buch im Halbdunkel des Zuges. Die Taschenlampe unter der Bettdecke hat also ausgedient. 3. Der Reader ist leichter als das Buch. Und er beherbergt nicht nur ein einzelnes Buch, sondern hat Platz für eine ganze Bibliothek. Das Bestreben, das gesamte Weltwissen portabel zu machen, trägt die ersten Früchte. Die Hochleistungsscanner von Google laufen auf Hochtouren. Die Anwälte und Verlagschefs geben sich millionenfach die Klinke in die Hand. 4. E-Books sind größtenteils günstiger als gedruckte Bücher und könnten so mehr Käufer anlocken. 5. Sie könnten zudem attraktiver sein, wenn die Verlage – wie bei DVDs - Bonusmaterial zusätzlich anbieten würden. 6. Schließlich trägt der Reader multimedialen Anforderungen Rechnung, und kann Text ebenso wie Hörbücher und Bildmaterial abspielen. So könnte Lesen in Zukunft zu einem multimedialen, alle Sinne ansprechenden Erlebnis werden, wenn man seine Vorteile in einer digitalen Leseumgebung zu nutzen weiß. In diesem Zirkus sind alle Akteure gefragt: Verleger, Politiker, Juristen, Marketingstrategen, Programmierer, Wissenschaftlicher, Psychologen… und schließlich die Leser selbst. Bleibt nur zu hoffen, dass Apple und Konsorten nicht auch noch einen Reader mit Telefonfunktion auf den Markt werfen. Das würde auch dem E-Book schon den Garaus machen, bevor es sich etabliert hat.

Freitag, 16. Oktober 2009

Die FDP und ihr gefährliches Spiel mit der Freiheit

Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und FDP kommen nicht voran. Es fehlt ein klares Konzept, fehlen Lösungen zu gegenwärtigen innenpolitischen Krisen. Noch gibt es kein Rezept für eine Novellierung des Gesundheitsfonds, für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke oder die Senkung der Steuern. Angesichts eines Haushaltsdefizits von mehr als einer Billion Euro sind starke Ausgabenkürzungen vor allem bei Rentnern und Hartz IV-Empfängern langfristig gesehen unumgänglich, will man sich einer neuen EU-Mahnung entziehen. Nachdem das Schonvermögen für Hartz IV-Empfänger auf 750 Euro angehoben wurde, gibt es nun ein zweites endgültig beschlossenes Papier der neuen Koalition. Die FDP konnte sich im Streit um die Computersicherheit durchsetzen und stimmte selbst Hardliner Wolfgang Schäuble (CDU) gnädig: Online-Durchsuchungen dürfen künftig nur unter strenger richterlicher Genehmigung und nur im Falle akuter Lebensgefahr durchgeführt werden. Eine Regelung, die so zwar auch im aktuellen Gesetzentwurf von SPD und CDU formuliert gewesen ist, allerdings müssen private Durchsuchungen des Computers jetzt von einem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof genehmigt werden und dürfen nicht von anderen Behörden angeordnet werden. Auch die unreflektierte und äußerst fragwürdige Sperrung kinderpornografischer Seiten im Internet - das letzte große Ass der Ursula von der Leyen (CDU) – wird sprichwörtlich gestoppt und durch eine Löschung entsprechender Inhalte ersetzt. Die private Lebensführung soll zunehmend geschützt werden, weshalb auch Lausch- und Videoangriffe untersagt sein sollen. Vorrätig gespeicherte Verbindungs- und Kommunikationsdaten sollen nur im Falle „akuter Gefahr für Leib und Leben“ zur Verfolgung von Straftaten herangezogen werden. Des Weiteren dürfen Journalisten künftig aus geheimen Papieren zitieren. Die Verhandlungsführerin der FDP Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, es sei gelungen, in diesem sensiblen Bereich die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Dem stimmten Schäuble und der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl ausdrücklich zu. Schäuble sagte, es sei allen drei Parteien wichtig gewesen, eine Einigung in der Arbeitsgruppe herbeizuführen und nicht mit strittigen Punkten in die große Runde zu gehen. Die Ergebnisse seien mit Billigung von Kanzleramtschef Thomas de Maizière verkündet worden.
Ungeachtet schwieriger Verhandlungen in den politischen Problemfeldern, hat die Koalition aber nur scheinbar einen ersten nennenswerten Beschluss auf den Weg gebracht, der in eine optimistische, weil freiheitsbejahende Zukunft weisen soll. Rasend schnell haben die Liberalen begriffen, wie unausweichlich eine Orientierung in Richtung Mitte ist. Schon jetzt scheint sie sich vom Image der „Klientelpartei“ befreien zu wollen. Mit einem strikteren Gesetz zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken oder einer wettbewerbsfreundlicheren Gesundheitsreform könnte der einst kleinen FDP der nächste "große Wurf "gelingen. Die neuen Regeln zur Computersicherheit waren nicht all zu schwer zu realisieren, zu offensichtlich waren die Freiheitsbeschneidungen unbescholtener Bürger durch ein auf zu großer Vorsorge basierendes Konzept. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden: Abgeschafft ist die Internetkontrolle nicht. Weder die Online-Durchsuchung noch die Vorratsdatenspeicherung sind wirklich außer Kraft gesetzt worden, sie wurden bei näherem Hinsehen lediglich etwas abgemildert. Eigentlich wollte sich die FDP, allen voran Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, gegen eine unter Staatskontrolle gestellte Informationsfreiheit wehren. Das ist ihr im Kern nicht gelungen. Jetzt verkauft die FDP ihr neues Papier als Schlüssel, welcher der schwierigen Situation Rechnung trägt, einerseits der immer größer werdenden Internetkriminalität gerecht zu werden und andererseits die Lebensführung der Bürger nicht unnötig zu beschneiden. Leider nehmen die Entwürfe nur augenschleinlich Einfluss auf die Lebensführung der Bürger. In der Sache ändert sich fast nichts. Die Entwürfe mögen immerhin ein Vorstoß in die richtige Richtung sein. Vielleicht sind sie ein Teilerfolg der FDP. Doch, wenn Augenwischerei zum Koalitionskonzept wird, werden die Wähler um ihre Stimme geprellt und Politik verliert noch mehr an Substanz als zuvor. Dann treibt die FDP ein gefährliches Spiel mit der Wahrheit und der Freiheit gleichermaßen, bei dem am Ende nicht nur sie selbst sondern auch Deutschland verliert!

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Obama´s Welt: Kleiner Preis für große Visionen

Die Rhein-Zeitung titelt "Nobelpreis für Obamas Traum vom Frieden", die Süddeutsche nennt ihn den "Nobelpreis für die Hoffnung". Kommentatoren und Kritiker sind sich einig: Der vom Nobel-Komitee in Oslo verliehene Friedensnobelpreis an US-Präsident Barack Obama ist verfrüht verliehen worden und gilt als Vorschusslorbeer. Nicht einig sind sich erwartungsgemäß Demokraten und Republikaner. Während die einen laut jubeln und ihren Präsidenten in den Himmel loben, sprechen die anderen von einer unverdienten Auszeichnung, Obama müsse seinen Worten erst noch Taten folgen lassen. Beide Positionen haben einen wahren Kern. Alfred Nobel hat in seinem Testament ausdrücklich die Friedensbemühungen als preiswürdig festgelegt. Und bei aller Kritik und Polemik: Obama hat die Welt bereits verändert, hat sie bereits ein Stück weit verbessert. Seine Bestrebungen, der islamischen Welt die Hand zu reichen, Verhandlungen zwischen Israel und Palästina zu beeinflussen, sowie Gespräche über eine weltweite atomare Abrüstung zu führen, sind nicht selbstverständlich. Vor allem nicht in dieser Schnelligkeit, Stringenz und rhetorischen Sorgfalt. Schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 bereiste er die Krisenherde der Welt und mimte den verständnisvollen, feinfühligen Zuhörer. Als konsequenter Zupacker hat sich der mächtigste Mann der Welt indes noch keinen Namen gemacht. Auch wenn die Raketenstellungen in Russland aufgegeben wurden, müssen Atomabrüstungsprogramme erst noch auf den Weg gebracht werden. Der ehrenwerte – und längst überfällige - Vorsatz, gemeinsam mit China die Emmissionsraten entscheidend zu senken, muss denn auch verbindlich in Schriftform festgelegt und schlussendlich befolgt werden, damit Klimapolitik keine Klimarhetorik bleibt. Und auch wenn Obama die Bankentransparenz fordert und größeren staatlichen Einfluss auf den amerikanischen Geldmarkt nehmen will, war er in Sachen Manager-Boni auf dem Wirtschaftsgipfel in Pittsburgh nicht gänzlich auf die Linie der Bundesregierung zu bringen. Seine ersten Dämpfer hat Obama ausgerechnet bei innenpolitischen Problemfeldern erhalten. Sein Großprojekt einer einheitlichen Gesundheitsreform, die allen Bürgern eine Krankenversicherung garantieren soll, hat nach harscher Kritik und Straßenprotesten eine wichtige Abstimmungsrunde im Kongress mit 14 gegen 9 Stimmen genommen. Dennoch sind Nachbesserungen und reformferne Zugeständnisse unumgänglich, um eine Beschlussfähigkeit zu erreichen. In der Rassismusdebatte kommt Obama bislang keinen nennenswerten Schritt voran.

Besonders die innenpolitische Realität beweist, dass Obama nicht der Messias ist, für den ihn anfangs die Medien gehalten haben, und jetzt das Nobel-Komitee hält. Nun ist die messianische Erwartungshaltung offiziell verankert. Und es scheint gar, als versuche man der Heilsbringungen einen kleinen Schups geben zu wollen, die Erfüllung ein bisschen voranzutreiben. So funktioniert natürlich keine Politik. Weder zu Helmut Schmidts Zeiten, dessen Annäherungsversuche an die Ostblockstaaten 1971 ebenfalls geehrt worden waren, bevor er überhaupt Taten folgen ließ, noch zu Obamas Zeiten. Obama selbst muss den Preis als Bürde sehen, die nun auf ihm lastet. Allerdings ist er Profi genug, sich nicht beeinflussen oder lenken zu lassen. Er verfolgt eine klare Linie und nimmt einen kleinen Preis am Wegesrand gerne dankend in Empfang. Die Probleme löst dieser Preis alleine nicht. Und Obamas Motivation wird er nicht steigern. Ohnehin macht Obama immer wieder deutlich, dass nicht er alleine globale Konflikte lösen kann, sondern dass nur eine Zusammenarbeit aller Staatenführer und Länder zum Ziel führen kann. Auch wenn der Preis den USA eine Vormachtstellung bescheinigt, so ist sich Obama bewusst, dass er auf Verbündete angewiesen ist. Seine Politik des Miteinanders wiegt mehr als ein One-Man-Preis. Angesichts ernsthafter globaler Krisen wirkt eine „Auszeichnung“ ohnehin perfide. Obama hat alle Hände voll zu tun. Gerade tagte er im „Situation Office“ mit seinen Beratern, um über eine Aufstockung der Soldaten in Afghanistan zu beraten. Nach dem erschreckenden Bericht des Kommandanten der US-Soldaten General McChrystal ist diese zwingend erforderlich, um der wachsenden Bedrohung durch die Taliban Einhalt zu gebieten. Im Gespräch ist eine Aufstockung von bis zu 40.000 US-Soldaten. Kritiker befürchten, dass dennoch keine Verbesserung der Lage zu erwarten sei. Es wird gar von einem zweiten Vietnam gesprochen. Ob Obama also ein würdiger Preisträger ist, bzw. ob er überhaupt ein würdiger Preisträger sein kann, wird er – wie im Falle der Atomabrüstung und auch der Weltbefriedung - nicht einmal beweisen können. So gerne er es würde. Und so scheint dieser Preis selbst, so aufrüttelnd er ist, nichts weiter zu sein als eine gut gemeinte aber schlecht durchdachte Utopie.