Mittwoch, 23. Februar 2011

Dr. Guttenberg a.D.: Deutschland schreibt sich ab

Was für ein gesellschaftspolitischer Supergau: Da darf sich Deutschland endlich wieder an einem politischen Hoffnungsträger, einem edlen Staatsmann, einem charismatischen Heilsbringer erfreuen - einem Mann, der einer nebulösen Wertedebatte von einst endlich ein Gesicht gibt, dem Ehre, Moral, Aufrichtigkeit und Integrität noch etwas zu bedeuten scheinen. Und dann ist es just dieser Saubermann, noch dazu von edlem Geblüht, der das wohl größte Plagiatsvergehen in der deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte begangen hat. Was für eine Schande! Kein Gesicht wäre von nun an glaubwürdiger auf dem Cover von Stefan Webers Standartwerk „Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden“ als Guttenbergs. War man am Anfang dieser Debatte noch gewillt, im flüchtigen Vergessen von Fußnoten eher einen kleinen Fauxpas denn eine große Verfehlung zu sehen, steht man jetzt vor gesellschaftspolitischen Ruinen, deren letzte Mauerreste immer weiter zerfallen. Eine Doktorarbeit, die fast ausnahmslos aus nicht angegebenem Fremdmaterial besteht, hat nicht nur den Titel Doktorarbeit nicht verdient, sie lässt auch erhebliche Zweifel am moralischen Gewissen ihres Verfassers aufkommen. Dass ein solch ehrenwerter Titel aberkannt wird, steht außer Frage – und ist denn auch recht schnell geschehen. Dass die Betitelung eine tiefere Dimension hat als eine formelle Konsequenz, wird die Volksseele hoffentlich noch begreifen. Denn der Doktortitel ist ein persönliches Verdienst. Folglich ist die Erschleichung des selbigen eine persönliche Niederlage. Und die erstreckt sich nicht nur auf das wissenschaftliche Feld, sie zieht sich in dem Maße durch das Leben des Trägers, wie ihm der Titel Würde und Anerkennung verliehen hätte – ein Leben lang, in allen Bereichen.
Wir können dankbar sein über dieses recht einfach zu bewertende und ziemlich simple Debakel Guttenbergs. Es steht pars pro toto für das Politikverständnis des Verteidigungsministers. Als Meister strategischer Amtsführung versteht er es wie kein Zweiter, zu manövrieren, lavieren, zu umschiffen, sich Bahn zu brechen, zu blenden. Erst verteidigt er die Bombardierung des Tanklasters in Kundus als „angemessen“, später rudert er zurück, entlässt erst den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert wegen angeblicher Informationsvorenthaltungen, dann den Brigadegeneral Henning Hars, weil dieser ihn in einem Brief frontal angegriffen hatte. Bei der Causa Gorch Fock das gleiche Muster: Erst warnt er öffentlich davor, Vorvorurteilungen vorzunehmen, dann setzt er wenige Stunden später den Schiffskommandanten Norbert Schatz ab – angeblich zu dessen eigenem Schutz. Was zu Guttenberg hier vollzogen hat, hat nichts mit Integrität, Fürsorge und konsequentem Handeln zu tun, es schadet der deutschen Politik und es schadet der deutschen Bundeswehr. Diese aus finanziellen Gründen verkleinern zu wollen, obwohl die geplante Bundeswehrreform bis 2014 1,2 Milliarden Euro mehr kosten dürfte und das Sparziel von 8,3 Milliarden Euro aller Voraussicht nach nicht erreicht wird, ist absurd. Genau dieses Einsparvolumen hatte Guttenberg zuvor versprochen.
Und eh man sich von diesen politischen Wirren erholen kann, kommt nun also die nächste große Rückrufaktion: Am Freitag noch bezeichnete er die Plagiatsvorwürfe gegen ihn als „absurd“, heute räumt der Minister nun doch „gravierende Fehler“ ein, spricht gar von „Blödsinn“. Heute hat er Recht. Am Freitag hatte er gelogen. Hätte er gleich von einer unentschuldbaren Verfehlung gesprochen, man hätte ihm verzeihen können. Stattdessen treibt er ein absurdes Spiel mit den Medien, sperrt sie quasi aus, lässt nur wenige ihm wohl gesonnene Pressevertreter an seiner Stellungnahme im Ministerium teilhaben. Währenddessen sitzen die Hauptstadtkorrespondenten nichts ahnend in der Bundespressekonferenz. Tugendhaftes Verhalten sieht anders aus. Feiges kommt dem sehr nahe.
Man mag darüber staunen, dass derzeit 72 Prozent der Bundesbürger uneingeschränkt hinter ihrem Minister stehen. Die Gründe dafür dürften dennoch auf der Hand liegen: Erstens will sich die Volkseele nicht selbst enttäuschen, indem sie ihren einzigen politischen Hoffnungsträger entzaubert, zweitens haben die Bürger gemeinhin keine Ahnung von den Gepflogenheiten des Akademikerbetriebs, wissen nicht, wie man eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, geschweige denn eine Promotion erlangt – möglicherweise ist ein Guttenberg ohne Dr. noch näher an ihnen dran. Und drittens spüren die Menschen im Land hier wohl eine Gelegenheit, sich einmal mehr gegen die Politik aufzulehnen und die derzeit so beliebte Revolutionskeule zu schwingen. Immerhin: In der Sendung „Hart aber Fair“ hat ein Zuschauer die Tragweite erkannt und den Schummel-Skandal mit den Worten „Deutschland schreibt sich ab“ kommentiert. Dass sich die Medien auf der anderen Seite gegen ihren tragischen Helden verschworen haben, war nicht auf Anhieb zu erwarten. Allerdings ist der richtige Umgang mit Quellen- und Faktenlage das wichtigste Rüstzeug im Journalistenbetrieb. Insofern verwundert es kaum, dass sich immer mehr Journalisten in ihrem eigenen Berufsethos verletzt fühlen.
Zu Guttenberg wird sein Amt als Verteidigungsminister weiterhin ausführen. Es gäbe ohnehin keine Alternative. Denn kein anderer Politiker könnte einem so unlösbaren Problem wie Afghanistan so viel Zuversicht ausstrahlenden Glanz verleihen. Aus moralischen Gründen müsste er zweifellos das Amt niederlegen. An einem Faktum aber kommt zu Guttenberg künftig nicht vorbei: Von jetzt an darf er sich keinen einzigen Fehler mehr erlauben. Gerät sein Schiff noch einmal in Schräglage, droht ihm das gleiche wie der Gorch Fock! Seine Glaubwürdigkeit hat bereits Schiffsbruch erlitten. Sollte sich herausstellen, dass der Freiherr auch noch so frei war, seinen Lebenslauf zu schönen, kann ihn wohl höchstens noch ein geschlagener Gaddafi medial aus der Schlinge ziehen.