Mittwoch, 25. Februar 2009

Zeitungen im Wandel der Zeit

Die Zeitungsbranche befindet sich im größten Umbruch aller Zeiten. Zahlreiche Redakteure werden entlassen, sogar Lokalredaktionen müssen schließen. Selbst die renommierte WAZ-Mediengruppe hat eine Redaktion eingestampft. 32 Millionen Euro sollen eingespart werden, 300 Mitarbeiter müssen gehen, meldet das Journalisten-Portal newsroom. Demnach müssen sich auch alle fest angestellten Fotografen selbständig machen. Und auch Magazine mit großem Namen wie beispielsweise „Vanity Fair“ bleiben nicht verschont und werden eingestellt. Was ist da los, fragt man sich in diesen Tagen. Schwappt die Wirtschaftskrise auf die eh schon gebeutelte Zeitungsbranche über? Deutsche Traditionsunternehmen wie Märklin und Schiesser stehen bereits vor dem aus, Opel vor einer ungewissen Zukunft, die selbst Bund („Franky“ Steinmeier) und Länder („Anchorman“ Rüttgers) spaltet und Banken werden enteignet und unter staatliche Kontrolle gestellt. Folgerichtig also, dass angesichts dieser disaströsen Lage auch die Medienbranche nicht verschont bleibt. Was die Zeitungsbranche und auch TV-Sender langsam erkennen, haben Buchverlage längst für sich entdeckt. Das Internet, respektive Web n.0. hat sich selbst ein Traditionsverlag wie Suhrkamp schon zu Nutze gemacht. Fortan werden seltene Werke und Fachbücher nicht mehr zu Ladenhütern sondern je nach Bedarf gedruckt (Print on Demand). Druck- und Werbekosten werden auf Sparflamme gehalten, der Ertrag kann dabei sehr hoch ausfallen, und tut er das nicht, ist es auch nicht schlimm.

Es ist zweifellos die Online-Branche, die nicht nur für die Defizite der Printbranche mitverantwortlich ist, sondern die sie auch wieder ausgleichen kann. Voraussetzung ist, dass man Onlinemedien richtig einzusetzen weiß. Auf dem zehnten European Newspaper Congress, der vom 26.-28. in Wien stattfindet (übrigens zwei Tage vor dem Tag des geistigen Eigentums) und auf dem sich Journalisten- und Designergrößen tummeln werden, wird genau darüber diskutiert werden müssen. Fest steht schon jetzt, dass sich nicht nur das Format von Zeitungen ändern, sondern auch der Journalismus einen grundlegenden Wandel erfahren wird. Zukünftig soll Schönmalerei durch Inhalte ersetzt werden, sollen sich Journalisten auf das Wesentliche konzentrieren, Nachrichtenwerte abwägen, informative Nutzwerte hinterfragen. Die erste Trainee-Stelle für Verbraucher-Journalisten wird zum vierten Mal von der Verbraucherzentrale des Bundes in Berlin angeboten und sie weist in die Richtung, in die es gehen wird: Journalismus als Dienstleistung am Verbraucher. Fakten, News, Hintergründe. Mehr nicht. Diese Strategie kann Vor- und Nachteile haben, auf jeden Fall führt sie zu Platzersparnissen. Ressourcenschonender Journalismus heißt, themenspezifisch zu schreiben. Sich vom Globalanspruch einer Tageszeitung zu lösen. So ist wahrscheinlich, dass nicht nur vermehrt Spartenzeitschriften online angeboten werden. Denkbar wäre auch, dass Nutzer zukünftig ihre Informationen selbst zusammenstellen können. Nach dem digitalen Cut & Paste-Prinzip könnte jeder Leser seine persönliche „lesergenerierte“ Zeitung kreieren. Im Web ist die persönliche Gestaltung von Startseiten durch gezielte Newsselektion längst Standart. Vor allem Weblogs sind nicht nur ein gesellschaftliches Sprachrohr zwischen Revolte und Demokratisierung, sie dienen auch der Selektion von Informationen und ordnen sie durch Kommentarfunktionen bisweilen sogar in einen größeren Kontext ein. Und sie machen das, was ein Synonym für Medienkultur im 21. Jahrhundert wird: Sie wandeln jeden passiven Nutzer in einen aktiven Nutzer, einen digitalen Autor. So wird auch der Printleser der Zukunft gefordert und mehr und mehr in den Selektionsprozess eingebunden. Zweifellos scheint Online das Gebot der Stunde zu sein. Und wenn es ganz gut läuft, dann spielt es sich wieder zurück: Diese Woche brachte die Internetzeitschrift „Telepolis“ erneut eine Ausgabe ihres Zukunftspecials an die deutschen Kioske. Der Heise-Verlag zeigt wie es geht. Und er tut es deshalb, weil er seit Anbeginn des Netzes ein Teil von ihm war. Ein derartiges Medienbewusstsein müssen sich die traditionellen Medien erst noch erarbeiten. Für den Brockhaus-Verlag steht indes schon fest: Seine Kult-Enzyklopädie gibt es fortan nur noch im Netz.

Web 2.0 + Pornografie = Schöne neue Medienwelt

Die deutsche Rechtssprechung kennt ab sofort eine neue Vokabel, die da lautet „Jugendpornografie“. Als hätte es nicht schon gereicht, dass junge Verliebte keine Fotos mehr von sich schießen dürfen ohne dafür wegen „Besitz (oder gar Verbreitung) kinderpornografischer Schriften angeklagt zu werden (Link), fahren jetzt die Gesetzeshüter noch schärfere Geschütze auf. Von nun an soll auch der Besitz von Abbildungen, auf denen die dargestellten Personen lediglich jugendlich aussehen, unter Strafe gestellt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Personen volljährig sind oder nicht. Auch Darstellungen mit sogenannten „Scheinminderjährigen“, also Personen, die dem Alter nach das 18. Lebensjahr erreicht haben, aber äußerlich minderjährig aussehen, fallen unter das neue Gesetz. Die Neuregelung geht auf einen EU-Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie zurück. Nicht nur Darstellungen, die ein „wirklichkeitsnahes Geschehen“ zeigen, sondern auch ein „fiktives Geschehen“ wiedergeben, könnten also künftig Strafbestand werden.
Bis hier hin weitestgehend undiskutabel. Gerade in Zeiten des „user generated content“, in denen mittels einfacher Digitaltechnik in Handys und Camcordern Nutzer selbst Bilder an jedem Ort und zu jeder Zeit selbst entwickeln können und im Internet gerne öffentlich zur Schau stellen, scheint eine Gesetzanpassung an die Wirklichkeit geboten. Wirft man jedoch einen Blick in die mediale Wirklichkeit, so ist es offenkundig, dass es viel mehr einem veränderten „medienpornografischen Bewusstseins“ von Seiten der Medienmacher bedarf als einer Kriminalisierung von Jugendlichen. Denn genau die sind im Visier des neuen Gesetztes zur Jugendpornografie, denn sie sollen vor Nachahmungstaten quasi vor sich selbst geschützt werden. Angesichts der nicht aufhaltbar scheinenden Pornografisierung der Medien scheint dieses probate Ziel selbst eher „wirklichkeitsfiktiv“ als „wirklichkeitsnah“. Castingshows propagieren das Diktum „Sex sells“, Gruppen in Studivz halten von sexuell motiviertem Bildertausch bis hin zur „Bilderveredelung“ allerlei Perversionen bereit und Kinofilme wie „Sex and the City“ warten nicht nur mit höchst anzüglichen Sprüchen auf, sondern schrecken auch vor Genitaldarstellungen – bei einer Altersfreigabe von 12 Jahren! – nicht zurück. All das sollte Anlass geben, über die Medienehtik nachzudenken, anstatt die Gesellschaft derart fahrlässig und in diesem Fall völlig „unvermittelt“ zu verunsichern.
Die Judikative sollte erkennen: Kinder und auch Jugendliche müssen nicht vor sich selbst geschützt werden, sondern vor einer medialen Pornografie-Bagatellisierung. Freizügigkeit im TV scheint nicht mehr nur geduldet sondern schlichtweg verlangt zu werden. Wenn sich zu diesem Umstand auch noch die immer frühere körperliche Entwicklung von Jugendlichen gesellt bei immer einfacher zu handhabenden Fotoausrüstungen, dann entsteht ein schwieriges und risikobehaftetes Konglomerat, dem nur über eine gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung Einheit geboten werden kann. Dass sich diese Aufgabe als einen langen und fortwährenden Prozess ausnimmt, ist selbstverständlich. Aber diese Herausforderung an eine neue Medienethik und Medientechnik ist keine Entschuldigung für unreflektierte, fast panische Freiheitsbeschneidungen von Seiten der Gesetzgebung.
Und die neue Gesetzeswelle schwappt auch bis nach Großbritannien über. Dort gibt es ab dem 26. Januar den gesetzlich verankerten Schutz vor sogenannter „extremer Pornografie“. Wie aber diese Termini einheitlich und sachgerecht definiert werden, hängt wie auch im Fall der Jugendpornografie vom persönlichen Ermessen der Richter, oder wie im Fall Großbritanniens, der Geschworenen ab.
"Extrem" beinhaltet nach Abschnitt 63 Absatz 7 Handlungen, die das Leben einer Person gefährden. Die Darstellungen müssen „in grober Weise anstößig, abstoßend oder anderweitig unzüchtigem Charakter sein“, so das Gesetz. Dabei sind Worte wie „vernünftig“ und „anstößig“ in den Gesetzestext aufgenommen, die nicht nur Interpretationsspielraum lassen, sondern auch über individuelle Neigungen urteilen und damit alles „Unnormale“, jede Perversion geißeln. Nicht bestraft wird zwar derjenige, der die Dateien von seinem Rechner gelöscht hat. „Löschung“ ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Dateien nicht wieder hergestellt werden können. Besonders IT-Fachleute scheinen von diesem Passus benachteiligt zu sein, weil sie über Kenntnisse verfügen, auch gelöschte Daten wiederherstellen zu können. Ein weiterer bedenklicher Passus sieht vor, dass Werke, die vom British Board of Film Classification (BBFC) als unbedenklich eingestuft worden, weiterhin erlaubt sind – jedoch nur als Ganzes. Einzelne Ausschnitte wie etwa die Vergewaltigungsszenen aus Filmen wie etwas Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ oder Alfred Hitchcocks „Frenzy“ könnten also künftig unter Strafe stehen. Der Besitz solcher extrem pornografischen Schriften, die die Unversehrtheit des menschlichen Lebens beeinträchtigen, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. In Deutschland und in Großbritannien sollte zukünftig also das Surfverhalten äußerst bedacht vollzogen werden, um „extreme“ Überraschungen von Seiten der Gesetzeshüter zu vermeiden. Schöne neue Medienwelt.