Er versuchte der Mühsahl dieser genialistischen wie tragischen "Systematik" zu entrinnen, und wo er den Ausweg aus einem zermürbenden Starsein suchte, antwortete er mit Verve und Progression. Was er fand, war nur eine neue Ausfahrt nach Babylon. Erkaufte Kinderliebe mündete in Missbrauchs-Verdachtsfälle. Es mag der Wunsch nach Menschlichkeit, Nächstenliebe, Zuneigung, nach Unschuld und Neutralität gewesen sein. Und ungeachtet der Tatsache, dass die Eltern leichtes Spiel hatten, gehören kleine Kinder nicht in große Betten, da kann das Spiel noch so herzlich gemeint sein. Und dass es zum Austausch von „Zärtlichkeiten“ (welcher Form auch immer) gekommen ist, darüber besteht fast kein Zweifel. Michael Jackson ist nicht nur der Held, als den ihn jetzt gerne alle hochhalten, auf ihm lastet auch ein Geheimnis. Es ist diese Dichotomie aus Heldentum und Mysterium, aus (Musik)-Genie und (OP)-Wahnsinn, die Michael Jackson auch posthum so undurchsichtig macht. Da fällt es schwer, sich auf eine Seite zu schlagen. Er war wohl so wenig tadellos wie es der Mensch per se auch ist. Mit dem Unterschied, dass Jackson bei seinem Tod kein Mensch mehr war. Geistähnlich ist er abgetreten. Die 50 geplanten Konzerte in London hätte er vielleicht nie bestreiten können - wollte er vielleicht auch nie. Was letztlich zu seinem Tod führte oder nicht, er war verblasst. Sein Tod dürfte nicht verwundern. Vielmehr war er zu erwarten.
Zu Lebzeiten hat der (im Übrigen selbsternannte) „King of Pop“ mehr Platten verkauft, als je ein Künstler vor ihm, und als je wieder ein Musiker verkaufen wird – so die Prophezeiungen. Wenige Tage nach seinem Tod belegen seine Platten die ersten 10-20 Plätze in den Verkaufslisten von Amazon und iTunes. Media Control verzeichnet derzeit die meisten Plattenverkäufe, die jemals in einem so kurzen Zeitraum verbucht wurden. Die CD-Regale in den Kaufhäusern sind wie leer gefegt. Auf Bestellungen müssen Kunden mit zwei Wochen Wartezeit rechnen. Gerade erleben wir den Reboot des „MJ“-Systems. Seine Meriten sind unanfechtbar. Zweifellos hat es die Medienkultur geprägt, hat es die Ästhetik von Pop-Musik und Videoclips entscheidend mitbestimmt, hat es gezeigt, wie Marketing-Strategien funktionieren und wie elementar Disziplin und Perfektionismus im Künstlergeschäft sind. Doch die Niedertracht der Welt konnte es nicht besiegen, ironischerweise ist sie Teil von Michael Jackson selbst geworden. Die Nachwelt wird von „MJ“ lernen, und sie lernt auch, wie unberechenbar, verwundbar, unhuman, fatal und tragisch ein System sein kann, wenn es erstmal ein Eigenleben entwickelt hat. Ein eben solches hätte man dem Menschen Michael Jackson nur wünschen können! Dann würde er noch leben!