Sonntag, 21. Dezember 2008

Nachtrag: Polylog als Epilog

Nachtrag: Nach dem Aus für MTV folgt also nun auch das aus von Polylux. Auch MTV stand für Pop-, Sub- und Jugendkultur. Doch im Unterschied zu Polylux hat MTV kulturelle Randbereiche geprägt. Was bei MTV Ästhetisierung, Ausdruck, Protest und Unabhängigkeit war, wich bei Polylux der Fetischisierung und Ironisierung der eigenen Inhalte und nicht zuletzt der eigenen Sendung. MTV lebt als YouTube weiter. Die Gesellschaft behält ein wichtiges Ausdrucksmittel in der Hand. Auch die Sendung Polylux bleibt ihrer Fangemeinde auf Polylog.tv erhalten. Polylog ist damit der Epilog einer ziemlich belanglosen Geschichte.

Bye Bye Polylux: Besser ein Ende mit Schrecken

12 Jahre lang wurde Polylux auf die Menschheit, falsch: die „Gesellschaft“ losgelassen, jetzt ist auch die letzte Ausgabe endlich abgelaufen. „Gesellschaft“ - das kleine Wörtchen der großen Bedeutung wurde in der kleinen Sendung mit kleiner Bedeutung so häufig gebraucht wie frisch gedruckte Zeitungen in Briefkästen gesteckt werden: In jeder Sendung ein Haufen mal. An dieser Stelle sollen Bourdieu bis Luhmann nicht mit erhobenem Zeigefinger herangezogen werden, schauen wir lieber in die Polylux-Praxis. Was dem Zuschauer dort unglaubliche 12 Jahre lang als „Gesellschaft“ verkauft wurde, war in den Augen derer, die überhaupt noch Kritik an dem kleinen „Kulturmagazin“ geübt haben, nichts anderes als eine einzige Freakshow. Die Sendung war eine Randgruppenbeleuchtung unter dem Deckmantel einer „Kultursendung“, deren Zielgruppe aus Voyeuren und Gelangweilten gleichermaßen bestanden haben muss. Anders lässt sich das Interesse an „Objektophilen“, „Jumpstylern“, „Downshiftern“ und anderen Weltverklärern und Misanthropen nicht erklären. Da hilft es auch nicht – gnadenlos leichtfertig und ohne Unterscheidung - von Sub-, Pop- oder Jugendkultur zu sprechen. Die Beiträge folgten seit 12 Jahren den Kriterien „Aktualität und Relevanz“, ließ Titta von Hardenberg von sich selbst überzeugt in der letzten Sendung verlauten. Braucht es wirklich Polylux, um zu erfahren, dass viele Pizzerien in Berlin nicht von Italienern, sondern von Albanern oder Türken geführt werden, die versuchen die italienische Mentalität gegen ihre eigene Identität einzutauschen? Soll man als Zuschauer etwa honorieren, dass die Sendung dem albanischen Italiener Hassan zu Ruhm und Ehre verholfen hat, dass RTL und ZDF dem Aufruf nach „Aktualität und Relevanz“ gefolgt sind und den feurigen Albaner per Mini-Werbeauftritt zum „Fernsehstar“ katapultiert haben? Naja, da das Wort „Star“ im deutschen Fernsehen keine Bedeutung mehr hat, ist der Ausdruck immerhin gerechtfertigt, wobei ihm zum Bauern und Hartz-IV-Empfänger wohl noch einiges fehlen dürfte.

Grünenpolitikerin Renate Künast outete sich als „Polylux-Fan“, wenngleich sie eigentlich keine Beiträge verstehe. Die dargestellten Menschen hätten alle eine „Umdrehung zu viel“, aber, so zeige die Sendung, hätte schließlich jeder mal eine „Umdrehung zu viel“. Immerhin schließt sich die Grüne Powerfrau selbst mit ein.

Polylux: Gesellschaftskritik auf die feine Art. Obwohl: Sich gegenseitig mit Stühlen umzuhauen, hat mit Subtilität nicht viel gemein. „Happy Slapping“ ist bitterer Ernst in deutschen Schulen und braucht wohl alles andere als eine Kulturstilisierung (wenn auch in Form von Stühle-Wrestling). Die Welt hat viele Freaks, und das wissen nicht nur aufgeklärte Intellektuelle – spätestens seit Domian (und da darf und soll es bleiben). Ob es für die Aufklärung wirklich Polylux bedarf, lässt sich in Zweifel ziehen. Sich über das philosophische Quartett lustig zu machen ist unklug, da hilft auch nicht der Versuch, darüber Selbstkritik und Selbstironie gleich mit zu transportieren.

Im Anschluss an die Sendung Harald Schmidt übt man sich seit eh und je in nicht erreichbarer Selbstreferenz. Das eigene Outing, selbst zur Randgruppe des guten (oder schlechten?) Geschmacks zu zählen, bleibt aus, stattdessen propagiert Powerfrau Titta ihre Sendung als Ausnahme im deutschen Fernsehen und verwechselt eine Ausnahmeerscheinung fälschlicherweise mit einem Ausnahmezustand. Als sie sich am Ende ihrer Sendung selbst abmoderieren muss, sich also von sich selbst verabschieden muss, empfindet man fast Mitleid, aber als der zugegeben etwas benachteiligte Volksrepräsentant- und kommentator (Name entfallen) der Moderatorin und Mutter einen Blumenstrauß zum Abschied überreicht, wird aus Mitleid Scham. Und nach vielen zweifelhaften und getürkten Beiträgen aus der „Szene“ zieht die ARD nun endlich die Notbremse. Aus für Polylux. Bleibt zu hoffen, dass man sich jetzt umgehend den Kriterien „Aktualität und Relevanz“ widmet – und nicht mehr über eine Randgruppengesellschaft lästert, sondern für eine ausdifferenzierte Gesellschaft berichtet. Nicht mehr Dissidenten denunziert, sondern Interessenten informiert. Nicht mehr sich selbst fetischisiert und ironisiert, sondern schlichtweg Ernst nimmt.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Die Jahresrückblicke 2008 - von Durchblick keine Spur

Da lehnt der gute Reich-Ranicki noch vor wenigen Wochen den Fernsehpreis mit großer Medienwirkung ab und tut dann doch nichts anderes als an seiner eigenen Unglaubwürdigkeit, seiner Negation (s.u.) arbeiten: In der Sendung „Menschen 2008“, im ZDF von Kerner moderiert, rezensierte er – wenn auch auf die Schnelle, und lediglich per Videoübertragung – das aufsehenerregenste Buch des Jahres: Charlotte Roches Feuchtgebiete. Dass dieses Buch weder Literatur noch lesenswert ist, dafür braucht es natürlich keinen Reich-Ranicki. Dass aber die Medienmacher immer noch die Oberhand gegenüber allen Kritikern haben, für dieses Diktum brauchte es ihn sehr wohl. Mit beispielloser Prägnanz übte sich das Massenmedium „ZDF“ in der Einverleibung vom derzeit größten Fernsehkritiker, statt ihn selbst zu kritisieren. Und so durfte der Oberschichtenmann das Unterschichtenbuch – Kerner verglich den Roman mit der Wirkung der Bildzeitung, was sie gar nicht gerne hörte – rezensieren, so als ob er das Buch eines Kindes rezensieren würde. Und die Kritik eines von Kinderhänden geschriebenen Buches wäre wohl besser ausgefallen. Das Buch sei nicht mal der Rede wert, und auch das nächste Buch werde er nicht lesen, dafür hätte er keine Zeit, ließ er über die Leinwand verlauten. Wenn aber das ZDF bei Reich-Ranicki anruft, um ihn für die Sonntagabend-Primetime-Unterhaltung vor Massenpublikum zu gewinnen, dann kann man schon mal über die Ablehnung des Fernsehpreises – die symbolisierte Kommerzialisierungskritik – hinwegsehen. Zu dumm, dass er damit seine eigene Haltung gegenüber dem Fernsehen wieder einmal ad absurdum führte.

Und dass, wo doch die Kritik am Fernsehen besonders an diesem Abend so angebracht gewesen wäre (wie eigentlich an den anderen ca. 350 Tagen zuvor). Zwei Jahresrückblicke, zwei der best bezahlten und bekanntesten, vielleicht sogar beliebtesten Fernsehmoderatoren, doch von Shows der Superlative keine Spur. „Stars“ wie Kurt Beck, Olli Kahn, Florian Hambüchen und co. wirkten eher wie B-Promis, als wie die, die nicht abgesagt, die noch Zeit hatten. Kurt Beck lies bei Jauch das übliche Bla Bla vom Stapel, an Gehaltlosigkeit nicht zu überbieten, Kahn und Lehmann mussten bei Kerner zwei Mal beteuern, dass Konkurrenz das Geschäft belebe – Kerner hatte wohl die Antwort nicht verstanden, ebenso wie die Irrelevanz seiner eigenen Frage(n). Florian Hambüchen durfte bei Jauch gegen einen (für 2008) belanglosen sportlich fitten Rentner antreten, der in der Münchener U-Bahn zusammengeschlagene Rentner kritisierte den Medienrummel um seine Person und war dafür folgerichtig bei Kerner, der Mundharmonika-Mann von RTL trällerte minderbemittelt das übliche Weihnachts-Bla Bla, Mario Barth machte Werbung für Homepage und Film, war witzlos und unspontan. Kerner mimte ein bisschen Wetten Dass und ließ zwei Kinder anhand von drei Sätzen die Bücher von Cornelia Funke erraten. Und Medizincomedian Eckhart von Hirschhausen wollte für seine 250.000 Euro-Spende für die Ein-Herz-Für-Kinder-Sendung am Tag zuvor noch einmal gelobt werden. Dass sich sein Buch bereits 1.000000 mal verkauft hat, wurde nur am Rande erwähnt, und nach so einer netten Spende sind doch sicher noch ein paar Tausend Käufer drin.

Lediglich bei Oliver Pocher, den Jauch am Ende mal wieder rausschmiss, konnte man für einen kurzen Moment aufatmen, gab er doch die Jauch-Sendung für wenige Sekunden der Lächerlichkeit preis und sagte das, was alle wussten, aber niemand sagen würde. Neben dem Mundharmonikamann habe er den RTL-Bauer (Namen beider Stars entfallen) vermisst, und auch für ihn könnten noch Karten auf der Homepage erstanden werden, meinte er in Anlehnung an Mario Barths Kommerzpolitik.

Man sah beide Sendungen im Wechsel per Zapping und fragte sich: War das Jahr wirklich so schlecht, so belanglos? Der Bankenkrise versuchte Kerner ein Gesicht zu geben – wahrlich nicht sein eigenes – und setze den WISO-Moderator neben zwei Opfer aus dem Volke, die Tausende von Euro verloren haben, sich aber für ihr Geld – und natürlich das der vielen anderen Opfer mit Demos und Auslandsreisen einsetzen. Eine lachhafte Veranstaltung, die eigentlich gar nicht zum Lachen war. So sorgte ein 11-Jähriges Mädchen auf Kerners Couch für Mitleid, weil es in Israel mit einem viel älteren Mann zwangsverheiratet wurde. Fremde Kulturen - für viele Westeuropäer unvorstellbar. Menschen 2008 – zu Tränen gerührt, oder war es doch die Herz-Für-Kinder-Show vom Vorabend?

Noch eine Prise Obama hier, ein bisschen Ypsilanti da und fertig war der Jahresmix, leicht bekömmlich, in kleinen Häppchen serviert, dafür sorgte der RTL-Pausenmarathon per (Privat-)Definitionem.

Noch was vergessen in diesem Jahr? Finanzkrise, Hessen/Obamawahl, U-Bahnschläger, EM, Olympia, Reich-Ranicki. Dann ist ja sicher alles gesagt. Was soll man auch dazu setzen: Medienkultur heißt Wahrnehmung dessen, was uns Medien vorsetzen. Will heißen: Das Jahr war wirklich so. Und wenn es doch nicht gänzlich die Färbung Jauchs oder Kerners hatte, dann aller höchstens ein bisschen von beidem. Oder war Ihr 2008 etwa anders? Denken Sie mal darüber nach.