Dienstag, 9. Dezember 2008

Die Jahresrückblicke 2008 - von Durchblick keine Spur

Da lehnt der gute Reich-Ranicki noch vor wenigen Wochen den Fernsehpreis mit großer Medienwirkung ab und tut dann doch nichts anderes als an seiner eigenen Unglaubwürdigkeit, seiner Negation (s.u.) arbeiten: In der Sendung „Menschen 2008“, im ZDF von Kerner moderiert, rezensierte er – wenn auch auf die Schnelle, und lediglich per Videoübertragung – das aufsehenerregenste Buch des Jahres: Charlotte Roches Feuchtgebiete. Dass dieses Buch weder Literatur noch lesenswert ist, dafür braucht es natürlich keinen Reich-Ranicki. Dass aber die Medienmacher immer noch die Oberhand gegenüber allen Kritikern haben, für dieses Diktum brauchte es ihn sehr wohl. Mit beispielloser Prägnanz übte sich das Massenmedium „ZDF“ in der Einverleibung vom derzeit größten Fernsehkritiker, statt ihn selbst zu kritisieren. Und so durfte der Oberschichtenmann das Unterschichtenbuch – Kerner verglich den Roman mit der Wirkung der Bildzeitung, was sie gar nicht gerne hörte – rezensieren, so als ob er das Buch eines Kindes rezensieren würde. Und die Kritik eines von Kinderhänden geschriebenen Buches wäre wohl besser ausgefallen. Das Buch sei nicht mal der Rede wert, und auch das nächste Buch werde er nicht lesen, dafür hätte er keine Zeit, ließ er über die Leinwand verlauten. Wenn aber das ZDF bei Reich-Ranicki anruft, um ihn für die Sonntagabend-Primetime-Unterhaltung vor Massenpublikum zu gewinnen, dann kann man schon mal über die Ablehnung des Fernsehpreises – die symbolisierte Kommerzialisierungskritik – hinwegsehen. Zu dumm, dass er damit seine eigene Haltung gegenüber dem Fernsehen wieder einmal ad absurdum führte.

Und dass, wo doch die Kritik am Fernsehen besonders an diesem Abend so angebracht gewesen wäre (wie eigentlich an den anderen ca. 350 Tagen zuvor). Zwei Jahresrückblicke, zwei der best bezahlten und bekanntesten, vielleicht sogar beliebtesten Fernsehmoderatoren, doch von Shows der Superlative keine Spur. „Stars“ wie Kurt Beck, Olli Kahn, Florian Hambüchen und co. wirkten eher wie B-Promis, als wie die, die nicht abgesagt, die noch Zeit hatten. Kurt Beck lies bei Jauch das übliche Bla Bla vom Stapel, an Gehaltlosigkeit nicht zu überbieten, Kahn und Lehmann mussten bei Kerner zwei Mal beteuern, dass Konkurrenz das Geschäft belebe – Kerner hatte wohl die Antwort nicht verstanden, ebenso wie die Irrelevanz seiner eigenen Frage(n). Florian Hambüchen durfte bei Jauch gegen einen (für 2008) belanglosen sportlich fitten Rentner antreten, der in der Münchener U-Bahn zusammengeschlagene Rentner kritisierte den Medienrummel um seine Person und war dafür folgerichtig bei Kerner, der Mundharmonika-Mann von RTL trällerte minderbemittelt das übliche Weihnachts-Bla Bla, Mario Barth machte Werbung für Homepage und Film, war witzlos und unspontan. Kerner mimte ein bisschen Wetten Dass und ließ zwei Kinder anhand von drei Sätzen die Bücher von Cornelia Funke erraten. Und Medizincomedian Eckhart von Hirschhausen wollte für seine 250.000 Euro-Spende für die Ein-Herz-Für-Kinder-Sendung am Tag zuvor noch einmal gelobt werden. Dass sich sein Buch bereits 1.000000 mal verkauft hat, wurde nur am Rande erwähnt, und nach so einer netten Spende sind doch sicher noch ein paar Tausend Käufer drin.

Lediglich bei Oliver Pocher, den Jauch am Ende mal wieder rausschmiss, konnte man für einen kurzen Moment aufatmen, gab er doch die Jauch-Sendung für wenige Sekunden der Lächerlichkeit preis und sagte das, was alle wussten, aber niemand sagen würde. Neben dem Mundharmonikamann habe er den RTL-Bauer (Namen beider Stars entfallen) vermisst, und auch für ihn könnten noch Karten auf der Homepage erstanden werden, meinte er in Anlehnung an Mario Barths Kommerzpolitik.

Man sah beide Sendungen im Wechsel per Zapping und fragte sich: War das Jahr wirklich so schlecht, so belanglos? Der Bankenkrise versuchte Kerner ein Gesicht zu geben – wahrlich nicht sein eigenes – und setze den WISO-Moderator neben zwei Opfer aus dem Volke, die Tausende von Euro verloren haben, sich aber für ihr Geld – und natürlich das der vielen anderen Opfer mit Demos und Auslandsreisen einsetzen. Eine lachhafte Veranstaltung, die eigentlich gar nicht zum Lachen war. So sorgte ein 11-Jähriges Mädchen auf Kerners Couch für Mitleid, weil es in Israel mit einem viel älteren Mann zwangsverheiratet wurde. Fremde Kulturen - für viele Westeuropäer unvorstellbar. Menschen 2008 – zu Tränen gerührt, oder war es doch die Herz-Für-Kinder-Show vom Vorabend?

Noch eine Prise Obama hier, ein bisschen Ypsilanti da und fertig war der Jahresmix, leicht bekömmlich, in kleinen Häppchen serviert, dafür sorgte der RTL-Pausenmarathon per (Privat-)Definitionem.

Noch was vergessen in diesem Jahr? Finanzkrise, Hessen/Obamawahl, U-Bahnschläger, EM, Olympia, Reich-Ranicki. Dann ist ja sicher alles gesagt. Was soll man auch dazu setzen: Medienkultur heißt Wahrnehmung dessen, was uns Medien vorsetzen. Will heißen: Das Jahr war wirklich so. Und wenn es doch nicht gänzlich die Färbung Jauchs oder Kerners hatte, dann aller höchstens ein bisschen von beidem. Oder war Ihr 2008 etwa anders? Denken Sie mal darüber nach.

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