Mittwoch, 25. Februar 2009

Web 2.0 + Pornografie = Schöne neue Medienwelt

Die deutsche Rechtssprechung kennt ab sofort eine neue Vokabel, die da lautet „Jugendpornografie“. Als hätte es nicht schon gereicht, dass junge Verliebte keine Fotos mehr von sich schießen dürfen ohne dafür wegen „Besitz (oder gar Verbreitung) kinderpornografischer Schriften angeklagt zu werden (Link), fahren jetzt die Gesetzeshüter noch schärfere Geschütze auf. Von nun an soll auch der Besitz von Abbildungen, auf denen die dargestellten Personen lediglich jugendlich aussehen, unter Strafe gestellt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Personen volljährig sind oder nicht. Auch Darstellungen mit sogenannten „Scheinminderjährigen“, also Personen, die dem Alter nach das 18. Lebensjahr erreicht haben, aber äußerlich minderjährig aussehen, fallen unter das neue Gesetz. Die Neuregelung geht auf einen EU-Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie zurück. Nicht nur Darstellungen, die ein „wirklichkeitsnahes Geschehen“ zeigen, sondern auch ein „fiktives Geschehen“ wiedergeben, könnten also künftig Strafbestand werden.
Bis hier hin weitestgehend undiskutabel. Gerade in Zeiten des „user generated content“, in denen mittels einfacher Digitaltechnik in Handys und Camcordern Nutzer selbst Bilder an jedem Ort und zu jeder Zeit selbst entwickeln können und im Internet gerne öffentlich zur Schau stellen, scheint eine Gesetzanpassung an die Wirklichkeit geboten. Wirft man jedoch einen Blick in die mediale Wirklichkeit, so ist es offenkundig, dass es viel mehr einem veränderten „medienpornografischen Bewusstseins“ von Seiten der Medienmacher bedarf als einer Kriminalisierung von Jugendlichen. Denn genau die sind im Visier des neuen Gesetztes zur Jugendpornografie, denn sie sollen vor Nachahmungstaten quasi vor sich selbst geschützt werden. Angesichts der nicht aufhaltbar scheinenden Pornografisierung der Medien scheint dieses probate Ziel selbst eher „wirklichkeitsfiktiv“ als „wirklichkeitsnah“. Castingshows propagieren das Diktum „Sex sells“, Gruppen in Studivz halten von sexuell motiviertem Bildertausch bis hin zur „Bilderveredelung“ allerlei Perversionen bereit und Kinofilme wie „Sex and the City“ warten nicht nur mit höchst anzüglichen Sprüchen auf, sondern schrecken auch vor Genitaldarstellungen – bei einer Altersfreigabe von 12 Jahren! – nicht zurück. All das sollte Anlass geben, über die Medienehtik nachzudenken, anstatt die Gesellschaft derart fahrlässig und in diesem Fall völlig „unvermittelt“ zu verunsichern.
Die Judikative sollte erkennen: Kinder und auch Jugendliche müssen nicht vor sich selbst geschützt werden, sondern vor einer medialen Pornografie-Bagatellisierung. Freizügigkeit im TV scheint nicht mehr nur geduldet sondern schlichtweg verlangt zu werden. Wenn sich zu diesem Umstand auch noch die immer frühere körperliche Entwicklung von Jugendlichen gesellt bei immer einfacher zu handhabenden Fotoausrüstungen, dann entsteht ein schwieriges und risikobehaftetes Konglomerat, dem nur über eine gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung Einheit geboten werden kann. Dass sich diese Aufgabe als einen langen und fortwährenden Prozess ausnimmt, ist selbstverständlich. Aber diese Herausforderung an eine neue Medienethik und Medientechnik ist keine Entschuldigung für unreflektierte, fast panische Freiheitsbeschneidungen von Seiten der Gesetzgebung.
Und die neue Gesetzeswelle schwappt auch bis nach Großbritannien über. Dort gibt es ab dem 26. Januar den gesetzlich verankerten Schutz vor sogenannter „extremer Pornografie“. Wie aber diese Termini einheitlich und sachgerecht definiert werden, hängt wie auch im Fall der Jugendpornografie vom persönlichen Ermessen der Richter, oder wie im Fall Großbritanniens, der Geschworenen ab.
"Extrem" beinhaltet nach Abschnitt 63 Absatz 7 Handlungen, die das Leben einer Person gefährden. Die Darstellungen müssen „in grober Weise anstößig, abstoßend oder anderweitig unzüchtigem Charakter sein“, so das Gesetz. Dabei sind Worte wie „vernünftig“ und „anstößig“ in den Gesetzestext aufgenommen, die nicht nur Interpretationsspielraum lassen, sondern auch über individuelle Neigungen urteilen und damit alles „Unnormale“, jede Perversion geißeln. Nicht bestraft wird zwar derjenige, der die Dateien von seinem Rechner gelöscht hat. „Löschung“ ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Dateien nicht wieder hergestellt werden können. Besonders IT-Fachleute scheinen von diesem Passus benachteiligt zu sein, weil sie über Kenntnisse verfügen, auch gelöschte Daten wiederherstellen zu können. Ein weiterer bedenklicher Passus sieht vor, dass Werke, die vom British Board of Film Classification (BBFC) als unbedenklich eingestuft worden, weiterhin erlaubt sind – jedoch nur als Ganzes. Einzelne Ausschnitte wie etwa die Vergewaltigungsszenen aus Filmen wie etwas Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ oder Alfred Hitchcocks „Frenzy“ könnten also künftig unter Strafe stehen. Der Besitz solcher extrem pornografischen Schriften, die die Unversehrtheit des menschlichen Lebens beeinträchtigen, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. In Deutschland und in Großbritannien sollte zukünftig also das Surfverhalten äußerst bedacht vollzogen werden, um „extreme“ Überraschungen von Seiten der Gesetzeshüter zu vermeiden. Schöne neue Medienwelt.

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