Die Judikative sollte erkennen: Kinder und auch Jugendliche müssen nicht vor sich selbst geschützt werden, sondern vor einer medialen Pornografie-Bagatellisierung. Freizügigkeit im TV scheint nicht mehr nur geduldet sondern schlichtweg verlangt zu werden. Wenn sich zu diesem Umstand auch noch die immer frühere körperliche Entwicklung von Jugendlichen gesellt bei immer einfacher zu handhabenden Fotoausrüstungen, dann entsteht ein schwieriges und risikobehaftetes Konglomerat, dem nur über eine gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung Einheit geboten werden kann. Dass sich diese Aufgabe als einen langen und fortwährenden Prozess ausnimmt, ist selbstverständlich. Aber diese Herausforderung an eine neue Medienethik und Medientechnik ist keine Entschuldigung für unreflektierte, fast panische Freiheitsbeschneidungen von Seiten der Gesetzgebung.
Und die neue Gesetzeswelle schwappt auch bis nach Großbritannien über. Dort gibt es ab dem 26. Januar den gesetzlich verankerten Schutz vor sogenannter „extremer Pornografie“. Wie aber diese Termini einheitlich und sachgerecht definiert werden, hängt wie auch im Fall der Jugendpornografie vom persönlichen Ermessen der Richter, oder wie im Fall Großbritanniens, der Geschworenen ab.
"Extrem" beinhaltet nach Abschnitt 63 Absatz 7 Handlungen, die das Leben einer Person gefährden. Die Darstellungen müssen „in grober Weise anstößig, abstoßend oder anderweitig unzüchtigem Charakter sein“, so das Gesetz. Dabei sind Worte wie „vernünftig“ und „anstößig“ in den Gesetzestext aufgenommen, die nicht nur Interpretationsspielraum lassen, sondern auch über individuelle Neigungen urteilen und damit alles „Unnormale“, jede Perversion geißeln. Nicht bestraft wird zwar derjenige, der die Dateien von seinem Rechner gelöscht hat. „Löschung“ ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Dateien nicht wieder hergestellt werden können. Besonders IT-Fachleute scheinen von diesem Passus benachteiligt zu sein, weil sie über Kenntnisse verfügen, auch gelöschte Daten wiederherstellen zu können. Ein weiterer bedenklicher Passus sieht vor, dass Werke, die vom British Board of Film Classification (BBFC) als unbedenklich eingestuft worden, weiterhin erlaubt sind – jedoch nur als Ganzes. Einzelne Ausschnitte wie etwa die Vergewaltigungsszenen aus Filmen wie etwas Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ oder Alfred Hitchcocks „Frenzy“ könnten also künftig unter Strafe stehen. Der Besitz solcher extrem pornografischen Schriften, die die Unversehrtheit des menschlichen Lebens beeinträchtigen, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. In Deutschland und in Großbritannien sollte zukünftig also das Surfverhalten äußerst bedacht vollzogen werden, um „extreme“ Überraschungen von Seiten der Gesetzeshüter zu vermeiden. Schöne neue Medienwelt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen