Mittwoch, 24. Juni 2009

Das Neda-Video: Zwischen Iran-Revolte und Medien-Revolution

Der immense Volkswiderstand im iranischen Teheran bekommt ein Gesicht - und eine Heldin: Neda Salehi Agha Soltan ist 26, Studentin. Als sie die Proteste gegen das Mullah-Regime am Rande beobachtet, wird sie von einer Kugel direkt in die Brust getroffen. Sie stirbt wenig später unter den Armen ihres Vaters und eines Arztes, die ihr Blut nicht stoppen können. Offenbar hat ein regimetreuer Scharfschütze die Frau von einem Dach aus gezielt getötet. Nun wird Neda zur Märtyrerin, bleibt ihr Gesicht das menschliche Sinnbild einer Revolte, vielleicht einer zweiten Revolution nach 1979 - zumal das Märtyrertum im schiitischen Islam von großer Bedeutung ist. Seit auf Youtube und Facebook das per Handy aufgenommene Video von der kaltblütigen Ermordung Nedas und der vergeblichen Rettungsaktion kursiert, scheint die Welt wachgerüttelt. Exil-Iraner auf der ganzen Welt demonstrieren mit Plakaten wie „I Am Neda“. Ob das Video echt ist oder gestellt, darüber lässt sich nur spekulieren, denn Nachrichten dringen nicht mehr auf offiziellem Wege über Agenturen an die Öffentlichkeit. Es sind die neuen Kommunikationsplattformen im Internet, die Social Media, die den diktatorischen Zensurmethoden unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad (und seinem geistlichen Führer Ajatollah Ali Chamenei) ein massendemokratisches Sprachrohr entgegensetzen. Und auch wenn diese Plattformen im Iran gesperrt werden, leisten findige Studenten den oppositionstreuen Aufständischen Unterstützung, indem sie Proxyserver bereitstellen, die Seitensperrungen umgehbar machen.
Wie selten zuvor in der Geschichte wurden Aufstände derart strikt zensiert und sind gleichzeitig derart deutlich mitverfolgbar. Die neuen Medien ermöglichen eine Direktübertragung vom Ort des Geschehens in die ganze Welt. Mit ihren Handys dokumentieren Demonstranten das Gesehene und führen es über Youtube und Facebook der Welt vor Augen. Über den Microblogging-Service Twitter werden persönliche Eindrücke und Informationen beispielsweise über den nächsten Demonstrationsort mitgeteilt, auf Weblogs wird weltweit über die Vorgänge im Iran diskutiert. Die neuen Medien können nichts ungeschehen machen, aber sie machen auch nichts mehr ungesehen. So werden Digitalmedien zur Waffe, gegen die selbst die Machthaber machtlos zu sein scheinen. Doch könnte der Schein am Ende trügen, weil mittlerweile angenommen wird, dass auch der iranische Geheimdienst über Twitter Propaganda-Nachrichten verbreitet und gezielt Twitter-Autoren bespitzelt und verfolgt. Die Twitter-Betreiber selbst haben unterdessen ihre geplanten Wartungsarbeiten auf einen Zeitraum verschoben, in dem nicht viele Nachrichten aus dem Iran erwartet werden. Die dadurch benachteiligten amerikanischen Twitterer reagierten solidarisch.

Wir erleben in diesen Tagen, wie anonyme Aktivisten auch den Journalisten das Zepter aus der Hand nehmen. Erstmalig werden nicht mehr Namen von Befragten zitiert, sondern Pseudonyme wie „change for iran“, unter denen sich die Autoren auf den Netzwerk-Seiten angemeldet haben. So ist der Iran-Protest nicht nur eine neue Revolution gegen die Machthaber, er ruft uns auch die neuen technischen Möglichkeiten und deren Auswirkungen ins Bewusstsein. Auch beim Protest gegen das militante Militärregime des Vielvölkerstaates Burma in Südostasien im Oktober 2007 vernetzten sich weltweit Blogger, einten sich im Vorhaben, den Threat „one text for burma“ zu eröffnen und damit gemeinsam die Stimme für eine Befreiung der Burma-Mönche zu erheben. Die innerörtliche Sprengkraft dieser Kampagne ist hier nicht so ausschlaggebend wie das Aufsehen, für das die Aktion weltweit gesorgt hat. Auch im Fall Neda bleibt abzuwarten, welche Folgen ihr Tod die politische und gesellschaftliche Zukunft im geistlich geführten Iran hat. Die Wahrscheinlichkeit für einen Bürgerkrieg ist jedenfalls noch mal um ein Vielfaches gestiegen.

US-Präsident Obama, der sich angesichts seiner Friedensbemühungen mit dem Islam leise verhalten musste, wird nun lauter. Bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus verurteilte er die Übergriffe der iranischen Sicherheitskräfte auf die Demonstranten scharf und stellte die Rechtsmäßigkeit der Präsidentenwahl im Iran in Frage. Er spricht von „universalen Bürgerrechten“, zu denen auch die uneingeschränkte Rede zähle. Es scheint gar, als distanziere er sich von der Anfang Juni gehaltenen Grundsatzrede in der Universität in Kairo. In Bezug auf das Neda-Video sagte Obama, mutige Frauen hätten sich der Brutalität der Sicherheitskräfte widersetzt. Deren Verlust sei brutal und schmerzlich. "Aber wir wissen auch dieses: Diejenigen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, sind immer auf der richtigen Seite der Geschichte."


Die Proteste auf Teherans Straßen werden weiter gehen. Doch die Maschinen kämpfen mit. Das haben sie schon zu Zeiten der „embedded journalists“ im Irakkrieg und noch früher im Vietnamkrieg getan, doch diesmal sind es tausende Amateure, die machtvolle Fäden spinnen – und das rund um die Welt!

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