Dienstag, 16. März 2010

Herangezoomt: Über den Dächern von Paris

Und dann gibt es doch wieder Dinge, die überraschen, die einen verblüffen, einen die Augen reiben lassen. Wer hier hin schaut, der träumt nicht, der kann seinen Augen trauen, der sieht tatsächlich richtig: www.paris-26-gigapixels.com. Auf der Internetseite wurde ein überdimensionaloes Stadtbild von Paris digital aufbereitet, das in nie da gewesener Qualität aufgenommen wurde. Vom Turm der Saint-Sulpice-Kirche im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés fotografiert, zeigt es Paris in schwindelerregender und atemberaubender Qualität - das größte Panoramabild der Welt. Und so sieht man neben den bekannten Pariser Monumenten auch Belangloses, Privates: Per Mauszeiger schweift man über die dichten grauen Dächerlandschaften, vorbei an bunten Häuserfassaden, rustikalen Fensterläden. Zieht von der Galerie Claudine rüber zur "La Péna Saint Germain", während man das kleine "La Chambre Clair" passiert. Was der Betrachter sieht, erhebt ihn zum Allwissenden, lässt ihn zoomen, heran an jedes Fenster, bis hinauf aufs leere Kinderbett, in dem lediglich ein Teddybär liegt. Ein Mann in lila-kariertem Hemd sitzt zurück gelehnt auf einem Stuhl, Bauarbeiter reparieren eine Häuser-Fassade in der Nähe der "Academie de France". Viele Blumenkästen scheinen unter der heißen Pariser Sonne knochentrocken, manche aufgehängte Wäsche im Wind will noch trocken werden. Und damit die Schornsteine gar nicht erst nass werden, zieren abertausende Schonsteinrohre aus braunem Kunststoff die grauen Dächer, teil mit einer Metallhaube abgedeckt, meistens jedoch ungeschützt. Der Schornsteinfeger nennt die oft überflüssigen Abdeckungen übrigens "Wohlstandshauben". Paris scheint besonders wohlständig zu sein. Das Projekt ist so atemberaubend wie verstörend, so faszinierend wie abstoßend, ein Flug, der sich manchmal wie ein tiefer Fall an fühlt. Privat ist hier nichts mehr. Zugänglich und sichtbar ist hingegen fast alles. Gesichter sind gepixelt, doch das gelingt nicht in jeder Patisserie oder Brasserie besonders gut. Das Bild wurde am 8. September 2009 bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen. Es ist aus über 2000 Einzelbildern zusammengesetzt und besteht aus 26 Billionen Pixeln (26 Gigapixel).
Zur melancholisch anmutenden Musik von Yann Tiersen aus dem Film "Die fabelhafte Welt der Amelié" lässt man also den Blick schweifen über ein verträumtes und erstrahlendes Paris unter blauem Himmel. Doch dieses Gefühl der Allwissenheit überfordert. Tausende von "Lebensentwürfen" lassen sich an den Bildschirm heranzoomen. Jedes Fenster sieht anders aus, die meisten sind geöffnet, viele Bewohner haben die Rollläden heruntergezogen, auf einer Terrasse liegt ein gelber Wasserschlauch, in einem Badezimmer hängt ein pinker Bademantel. Und während Tiersens Akkordeon weiter spielt, ertappt man sich bei der Sinnfrage. Was mache ich hier? Warum vergrößere ich jetzt. Bin ich jetzt ein Voyeur? Tatsächlich mag das Projekt so manchem Voyeur ein Paradies sein und ihm sprichwörtlich Tür und Tor öffnen. Benötigte er früher noch ein Fernglas und musste sich selbst immer vor der eigenen Entdeckung schützen, hat er jetzt freie Fahrt. Und jetzt kann er nicht nur ein Haus ins Visier nehmen, jetzt liegt ihm gleich eine ganze Stadt zu Füßen. Man mag das kritisieren. Vielleicht sollten wir es an dieser Stelle bei der Faszination belassen. Und auch wenn sich weiter denken lässt, was sich noch alles entdecken ließe, würde man diese Aufnahmequalität für ein kleineres Sichtfeld verwenden, ist man dorch irgendwie erleichtert, dass nicht Google hinter diesem Projekt steht. Paris ist übrigens nicht die einzige Stadt, die jetzt per Internet erkundet werden kann. Auch Dresden und Prag wurden mit 26 Gigapixeln aufgenommen. Mit den Abmessungen von 354.159 x 75.570 Bildpunkten ist das Pariser Panorama allerdings 733 Megapixel größer als das von Dresden.

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