Montag, 29. März 2010

iPad: Ein Kunstgriff der Moderne

Medienkritiker und Internet-Pioniere wie Jaron Lanier und Nicholas Carr zweifeln. Aber sie zweifeln weniger am Erfolg des iPads, als dass sie nach wirklichen Gründen für den Misserfolg suchen. So zweifeln sie eher an ihrem eigenen Verstand. Und sie sind schlau genug, das selbst zu wissen. Wenn Nicholas Carr sagt „Das iPad ist auf keinen Fall eine sichere Wette. Es ist trotz allem immer noch eine ziemlich große und ziemlich schwere Tafel. Anders als ein iPod oder ein iPhone kann man es sich nicht in die Hosentasche oder in die Handtasche stecken. Es macht immer noch den Eindruck eines sperrigen Geräts. Das iPad wäre ideal für einen dreihändigen Menschen - zwei Hände, um es zu halten und eine weitere, um den Touchscreen zu bedienen - aber die meisten Menschen haben nun einmal leider nur ein Paar Hände“, dann erkennt er den Widerspruch seiner eigenen These selbst. Denn das iPad zieht seine Stärke gerade aus einer neu gewonnenen „Usability“, die dennoch nicht viel an „Mobility“ einbüßt. Die Stärke des iPhones lag sozusagen in „Apps-to-Go“, kleinen, nützlichen Anwendungen wie Organiser, Navigation, Maps oder Messaging. Doch lebten diese Apps eher von ihrer ortsungebundenen und vor allem schnellen Nutzung als von konstanter, auf Rezeption von Inhalten ausgelegter Kapazität. Dabei scheint es tatsächlich, als arbeite das iPad mit einer Art Reduktion. Als hätte es den viel beklagten „Information-Overkill“ erkannt, verweigert es Multitasking ebenso wie multimediale Anwendungen (Kamera, Telefon) bewusst. Steve Jobs, als „Impresario aller Mediengattungen“ (Nicholas Carr) gefeiert (und verteufelt gleichermaßen), kommt mit dem iPad seinem Ziel der Perfektionierung des „Mobile Devices“ ein großes Stück näher. All jene, die Maus, Tastatur, Programme und Funktionen vermissen, haben nicht verstanden, dass unsere gegenwärtige Medienkultur nicht im Geringsten darauf angewiesen ist. Und es bedarf erst eines Steve Jobs, uns dies vor Augen zu führen. Steve Jobs beweist mit dem iPad augenscheinlich einen Rückschritt. In Wahrheit schöpft er die wahre Essenz des Web 2.0 aus. Die liegt möglicherweise gar nicht, wie angenommen, in der Weisheit der Vielen, im Erstellen und Publizieren von Inhalten. Vielmehr haben Weblogs gezeigt, dass ihnen bei aller hin und wieder aufkeimenden Sprengkraft eine Eigenschaft zweifellos zugesprochen werden kann: sich gegenseitig zu neutralisieren. Das wiederum stellt deren Relevanz in Frage und damit auch, ob es wichtig ist, sich beteiligen zu müssen. Das iPad wird eher als eine moderne Fernbedienung denn als ein Computer gehandelt. Tatsächlich schreiten wir zurück vom „Marktplatz des Glücks“, auf dem alle möglichen Inhalte produziert und verhandelt werden, zum alt bewährten „Kramladen des Glücks“ (Harald Hillgärtner). Und dieser trägt fortan den Namen „iTunes“ - ein überdimensionierter „Kramladen“, der einzelne Musik- und Buchtitel ebenso anbietet, wie Filme, Serien oder ganze Staffeln. Wenn Jaron Lanier, Autor, Künstler, Computer-Experte, zu bekennen gibt: „Für die Menschheit wird es jedoch eher von grundlegender Bedeutung sein, ein weltweit gültiges Abkommen über die Bezahlung von Information, von geistigem Eigentum zu treffen. Sonst ist es nicht möglich, wirklich vernetzt zu sein“, dann weiß er – ebenso wie Carr – um den Widerspruch seiner These. So ist es eben das iPad selbst, was dem ohnehin mit bislang 3 Billionen Downloads viel genutzten itunes-Store in die Riege des Establishments verhilft. Und weiter gedacht, könnte dieser digitale Kramladen die Lösung aller Urheberrechtsprobleme und Rechtsverletzungen im Internet sein. Lanier beklagt zu Recht, dass es an klaren Konzepten zur Wahrung des Urheberrechts und der komfortablen Nutung von Medieninhalten gibt. Mit entsprechenden Kooperationen – was sicher noch Jahre dauern wird – könnte sich der itunes-Store zu einer allumfassenden Medienbibliothek etablieren, in der möglicherweise auch Inhalte für bestimmte Zeit ausgeliehen werden könnten. Bereits fünf amerikanische Verlage bieten bereits ihre Werke im neuen iBook-Store an. Mit erschwinglichen Preisen, komfortablen Nutzungsmöglichkeiten auf Software-Basis (dank Synchronisation und Organisation), sowie intuitiver Anwendungskapazität auf Hardware-Seite, könnte Apple ein weiterer revolutionärer Kunstgriff der Moderne gelingen. Das iPad verändert nicht nur das Denken, es vermag sogar, das Denken in vielen Bereichen zu übernehmen. Nicht mehr muss sich der Anwender ein Gerät und seine Funktionen erschließen. Vielmehr reagiert das Gerät auf die Bedürfnisse des Nutzers. So ist auch hier das iPad die ideologische Weiterführung des Web 2.0, in dem die Option des Abonnierens von Inhalten genau auf diesen Umstand setzt. Nicht mehr muss der Nutzer zu den Inhalten gelangen. Die Inhalte gelangen zu ihm. So zeichnet sich schon jetzt ab, dass das iPad nicht nur als „Fun-Machine“ und „Art-Gadget“ fungiert oder Medien vereint. Es strukturiert vielmehr die Wahrnehmungsweise seiner Nutzer. Es stellt neue bürokratische und juristische Paradigmen zur Seite – und es überführt entmaterialisierte Kultur wieder einer traditionellen, antiken Haptik. Fortan hält man Bücher, Zeitungen und Bilder doch wieder in der Hand, damit entschwinden sie nicht mehr dem Geist, sondern bemächtigen sich seiner. Vielleicht zeugt das Gefühl, die Medien in Händen zu halten, auch von einer neuen Macht – freilich einer Unbeschwerten.

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