Dienstag, 15. September 2009

TV-Duell: "Wahlkampf für Kenner"

Frank-Walter Steinmeier hatte ganz recht, als er sagte: „Schauen Sie genau hin.“ Auch wenn 42 Prozent der (nur) 15 Millionen Zuschauer im Fernseh-Duell zwischen Kanzlerin und Vizekanzler keinen inhaltlichen Unterschied zu sehen vermocht haben, so war er gewiss da. Focus-Chefredakteur Helmut Markwort sagte ebenfalls ganz richtig: "Das ist ein Wahlkampf für Kenner." Und natürlich redet die vier Jahre der großen Koalition keiner weg. Liebe fragenden Journalisten: Große Koalition bedeutet gemeinsames Regieren. Das kann auch kein Beteiligter, bstreiten, sofern er nicht sein eigenes Arbeitswerk untergraben und die großen Entscheidungen vom Elterngeld und Ganztagsschulen über Kurzarbeit und Gesundheitsfond bis hin zur Abwrackprämie und der Opel-Rettung dem politischen Gegner allein zuschreiben will. Und in der Tat hat die große Koalition auch gute Politik gemacht – nicht nur im Ausland. National ist sicher der – erst späte, dann aber entschiedene - Umgang mit der Wirtschaftskrise zu nennen. Auch wenn der tiefe Fall der Autobranche noch bevorsteht. Außenpolitisch konnte Merkel die Herren Obama und Sarkozy nicht nur umschmeicheln, sondern sie auch dazu bringen, in Sachen Bankentransparenz, Afrika-Unterstützung und Umweltpolitik an einem Strang zu ziehen. Die Atomprovokationen von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il verurteilte sie ebenso entschieden wie den israelischen Siedlungsbau Nitnajahus. Den von der Bundeswehr befohlenen Angriff auf die beiden von den Taliban umlagerten Tanklaster versuchte sie weder abzuwiegeln noch allzu schön zu reden, sondern fand geeignetere, klügere Worte als ihr eigener Verteidigungsminister Frank-Josef Jung. Dass der auch nach der Bundestagswahl im Amt bleibt, gilt als höchst unwahrscheinlich.
Die richtigen Worte finden. Das gelang der Amtsinhaberin im TV-Duell weniger gut als dem Herausforderer Steinmeier. Der lief besonders in der ersten Hälfte zur rhetorischen Höchstform auf, sprach die Wähler immer wieder an, formulierte kurze und prägnante Sätze und zauberte auch außerpolitische Schönworte aus dem Hut, von denen die Kanzlerin nicht einmal gehört haben mag. Rhetorisch war das mithin eine Lehrstunde und man fühlte sich an alte Schröder-Zeiten erinnert – obschon sich die Zeiten gewandelt haben. Steinmeier war angriffslustig, blieb aber fair. Vielleicht erwarten deutsche TV-Journalisten eher eine Schlammschlacht als einen sachlich und nüchtern geführten Wahlkampf. Gleichwohl zeigte Steinmeier zum ersten Mal so was wie Leidenschaft. Aber immer wieder dreschten die Fragenden in die "Diskussion" und unterbrachen selbst die Kanzlerin mitten in ihren Ausführungen. Eine Benotung der „sozialen Gerechtigkeitslage“ in Deutschland war ebenso absurd wie von einer Tigerentenkoalition zwischen CDU und FDP zu sprechen. Dass eine solche infantile Bezeichnung dem Ernst der Lage nicht gerecht wird, insistierte Merkel zu Recht. Allerdings war es seltsam zu hören, dass sie sich tatsächlich bereits auf ein FDP-Bündnis festgelegt zu haben scheint. Westerwelle als neuer Außenminister? Das wäre wohl der Super-Gau. Da hört man lieber wieder den Worten Steinmeiers zu und vernimmt verblüfft, wie kompetent der als zu seicht und unerfahren deklarierte SPD-Frontmann doch sein kann. Zugegeben, sich auf die Vermehrung von Arbeitsplätzen und den Atomausstieg zu versteifen, reicht inhaltlich nicht an die Ausführungen von Merkel heran, die nichtsdestoweniger ihren Amtsbonus auszuspielen wusste. Wer von beiden aber jetzt die „soziale Gerechtigkeit/Marktwirtschaft“ gepachtet hatte, das wusste der geneigte Fernsehzuschauer nicht so recht. Beide haben für sich beansprucht, Wachstum generieren und Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Aber auch hier gab es entscheidende Unterschiede, die auch die Journalistenriege nicht überhört haben kann: Merkel will richtigerweise eine Steuersenkung, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und den potentiellen Käufer zu ermutigen. Steinmeier lehnt das mit Blick auf das Haushaltsdefizit und dem Finanzminister im Rücken ab. Am Schluss riss die Kanzlerin das Ruder wieder an sich. Ob die Verantwortlichen der Wirtschaftskrise ungeschoren davon kommen, wählte man die CDU, wie Steinmeier in seinem Schlusswort prophezeite, sei dahin gestellt. Immerhin sprach die Kanzlerin kurz von Familie und Bildung. Zwei zentrale Themen, denen die Moderatoren des Duells nicht den Hauch einer Aufmerksamkeit widmeten. Das ständige, äußerst unhöfliche Unterbrechen und der Wunsch, ein Feuer zu entfachen, wo nicht mal eine Glut sich anbahnte, schien den Fragenden wichtiger als sachliche und zu Ende gedachte Ausführungen der Befragten. Überhaupt war das ein Fernsehduell zwischen Journalisten und Politikern, bei dem nicht Deutschland verloren hat, wie anschließend attestiert wurde, sondern die Journalisten: Statt einer sachlichen Diskussion Raum zu geben, wollten alle ihrem eigenen Image gerecht werden: Plasberg fragte hartnäckig und stellte raffinierte Fallen, Maybritt Illner ließ nicht ausreden und wollte Polit-Talk generieren, Peter Kloeppel versuchte mit brisanten Fragen die Duellanten zu bewegen, wobei die Dienstwagenaffäre ebenso ausdiskutiert ist wie das Ackermann-Geburtstagsessen, und Peter Limbourg hielt sich zurück und meinte analysierend während der Sendung, eher ein „Duett statt ein Duell“ und ein „Ehepaar“ statt politische Gegner ausgemacht zu haben. Hier hat das Medium über den Inhalt entscheiden, war das Medium die Botschaft selbst, wie einst McLuhan medienwissenschaftlich konstatierte. Das Fernsehen würde Sachlichkeit und Konsens nur allzu gerne gegen Angriff und Dramaturgie eintauschen. Den entscheidenden Unterschied vergessen die Macher in diesen Tagen wieder besonders – wohl ob ihres blinden Flecks: Den zwischen medialer Regeln und politischer Relevanz. Und auch die Entlarvung von der Akte-Sendung, über Domian bis hin zu Quizsendungen durch die Politposse Horst Schlemmers bemerken nicht mal ihre Erschaffer. Das ist ein Wahlkampf für Kenner!

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