Freitag, 11. September 2009

Killerspiele: Wie Gewalt im Kopf entsteht

Da wurde so lange von „Wiederaufbauhilfe“ statt von „Krieg“ gesprochen und jetzt das. Über 50 Zivilisten könnte die Deutsche Bundeswehr in Afghanistan auf dem Gewissen haben, weil sie einen Befehl zum Luftangriff auf zwei von den Taliban belagerten Tanklastern gegeben hat. Die darauf gefolgte Abwiegelungstaktik von Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung gleicht einer Farce. Wiederholt äußerte er, dass sich keine Zivilisten unter den Opfern befunden hätten. Man fragt sich, wie es dem Oberbefehlshaber (und dann auch Jung) möglich gewesen ist, Zivilisten von Taliban-Kämpfern zu unterscheiden, wo letztere eben nicht in Kriegsmontur sondern bewusst zivil zu Felde ziehen. Noch dazu geschah der Angriff in nächtlicher Dunkelheit, nicht etwa am Tag. Seine Tage im Amt sind jedenfalls gezählt. Und es besteht kein Zweifel: Es ist Krieg in Afghanistan. Und die Deutsche Bundeswehr ist mitten drin als zweit wichtigster Akteur im Kampf gegen den Terror. Denn „Wiederaufbauhilfe“ ist zugleich „Gewaltabbauhilfe“. Dass die Taliban westliche Demokratiesemantik nicht versteht, dürfte klar sein. Mit der Sprache der Waffen begegnet man den Taliban-Milizen dagegen auf Augenhöhe. Und das ist das Mindeste, was man tun muss. Zivilisten zu schützen muss aber Vorrang haben – noch dazu in diesem als “sauber“ deklarierten Krieg, in dem modernste Luftabwehr-, Aufklärungs- und Raketensysteme im Einsatz sind, die an Treffsicherheit Vietnam- und Golfkrieg in den Schatten stellen sollen.

Krieg findet aber nicht nur draußen, sondern auch in heimischen Wohn-, besser Kinderzimmern statt. Killerspiele schimpfen sich virtuelle Plattformen - mit zunehmendem Live-Charakter dank Internet-Direktübertragung und weltweiter Vernetzung der Spieler - auf denen Krieg simuliert wird. Er wird sogar sprichwörtlich in die Hand genommen: Am eigenen Joystick. Nicht erst nach den jüngsten Amokläufen - Erfurt (2002) und Winnenden (März 2009) wurde darüber spekuliert, ob eine Korrelation zwischen Spielekonsum und Amokverhalten besteht.

Prof. Dr. Bernhard Bogerts sagt Ja. Allerdings seien dafür auch eine Reihe anderer Dispositionen notwendig. Der in Bingen geborene Psychiater bestritt mit seinem Vortrag "Gehirn und Verbrechen - Neurobiologische Erklärungsversuche für Gewalt, Terror und Völkermord" den Auftakt zum neuen Programm 2009/20010 des Wissenschaftlichen Vereins Mönchengladbach. Bogerts war von 1984 bis 1994 Oberarzt in der Psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf (Rheinische Landesklinik). Seit 1994 ist er Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Der Referent betonte: „Für Gewalttaten gibt auch ganz andere Erklärungsansätze philosophischer, theologischer, juristischer Art, die hiermit nicht geschmälert werden sollen.“ Seine These untermauerte der Hirnforscher indes durch Bilder von Computertomografen und MRT-Messungen von Gewalttätern. Er zeigte die Hirnaufnahmen vom ersten Amokläufer Ernst August Wagner, der 1913 ebenfalls in Winnenden 17 Menschen getötet hat. Ebenso von RAF-Terroristin Ulrike Meinhof (1934-1976), sowie von unbekannten Gewaltverbrechern. Auf allen Bildern waren Veränderungen gegenüber einem gesunden Gehirn im limbischen System zu erkennen. Jener Funktionseinheit des Gehirns, die Emotionen, Triebe und Intelligenz steuert. Ein dortiger Fehler verursacht die Hemmung des Neokortex, in dem kulturelle und moralische Erfahrungen gespeichert sind. Das wiederum führt zu einer Aktivierung des archaischen Stammhirns (auch Reptilhirn genannt), das zuständig ist für Atmung, Reflexe, Selbsterhaltung. Bogerts folgert: „Aggressives Verhalten kann durch einen Fehler im limbischen System verursacht werden, obwohl keine Umwelteinflüsse vorhanden sind.“ Solche Schäden könnten entweder durch operative Eingriffe, etwa nach Entfernen eines Tumors, wie im Fall von Ulrike Meinhof, oder durch psychosomatische Störungen auftreten. Bogerts zeigte anhand von Untersuchungen, dass Gewaltbereitschaft zudem genetisch bedingt sein kann. Auch seien traumatische Kindheitserfahrungen und gewaltverherrlichende Ideologien (zweiter Weltkrieg) Auslöser von Gewalt. Hinzukommen müsse ferner ein auslösendes psychosoziales Umfeld. „Wenn mehrere Faktoren zusammenkommen, steigt die Gewaltbereitschaft exponentiell“, so Bogerts. Es lässt sich leicht erahnen, was einstudierte und gelebte virtuelle Kriegsszenarien im Kopf bei enstprechender Disposition und sozialen Umständen in Natura anrichten können.

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