Donnerstag, 13. August 2009

Informationsfreiheit unter Staatskontrolle

Es ist soweit. Rund 25 Jahre hat es gedauert, bis Politiker und Gesetzeshüter erkannt haben: Das Internet ist nicht nur Informationslieferant und Kommunikationsapparat. Es ist auch ein Verbreitungsinstrument für jedwede Form menschlicher Abgründe, bringt Abartigkeiten und Unvorstellbares an die Bildschirmoberfläche. Macht fremde Grenzerfahrungen im Handumdrehen zu eigenen. Oder wie es der neue Spiegel mit dem Titel „Wir sind das Netz“ schreibt: „So ist das Internet zwar die größte Befreiung des Geistes seit der Erfindung der Buchdruckerkunst, aber zugleich ein Massenspeicher für alle Übel, die Menschen sich ausdenken, vom schlichten Schmutz bis zu den schlimmsten Auswüchsen der Phantasie.“ Dass diesem Umstand Einheit geboten werden muss, ist ebenso undiskutabel, wie kinderpornografische Seiten blockiert werden müssen. Das Grundproblem aber bleibt das Gleiche. Statt den Zugang zu illegalen Inhalten zu verwehren, oder den Bürger gläsern zu machen, sollten die Inhalte selbst bekämpft und ihre Produzenten bestraft werden. Es ist nämlich nicht abwegig, dass Dinge, die einfacher Verfügbarkeit unterliegen auch wahrgenommen, vielleicht sogar aufgesucht werden. Neugierde treibt den Menschen an und ist eine essentielle Disposition für natürliche, menschliche Weiterentwicklung.
Nachdem also die Bundesregierung die Sperrung kinderpornografischer Seiten im Netz gesetzlich verankern will – die zuständige EU-Kommission hat indes das Gesetz noch nicht unterschrieben, rollt nun der zweite Staatsstreich auf die Bürger zu: Die Bundesregierung erwägt, sämtliche Internetnutzer mittels eines „Internetausweises“ kenntlich zu machen und ihn quasi über einen digitalen Fingerabdruck ausfindig zu machen – und zwar bevor er den erste Seite aufgerufen hat. Da ist es dann nur folgerichtig, dass das Surfverhalten dokumentiert wird und eindeutig dem jeweiligen Nutzer zugeordnet werden kann. Was die Gesetzesplaner vergessen: All das ist bereits Internetrealität. Denn über die IP- und MAC-Adresse eines jeden Rechners kann auch jeder Nutzer eindeutig identifiziert und zurückverfolgt werden. Darüber hinaus wurde die Vorratsdatenspeicherung erst im letzten Jahr von drei auf sechs Monate angehoben. Was die Freiheitsbeschneider und IT-Banausen ebenfalls ignorieren: Lange schon ist es gängige Praxis, über im Ausland stehende Proxy-Server blockierte Seiten abzurufen, oder sogar illegale Inhalte über fremde Rechner zu transportieren, ohne dass der PC-Besitzer davon etwas mitbekommt. Waren Vieren früher noch auf größte Aufmerksamkeit bedacht und auf sichtbare Zerstörungswut hin programmiert, sind sie heute auf ganz andere Weise subversiv. Sie agieren im Hintergrund, unsichtbar – und sie machen alles – nur nicht auf sich aufmerksam.
Die Technik war der Gesetzgebung schon immer voraus – im Übrigen auch ihren Nutzern. Nur in einem sind die Regierungen schneller: „Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, wie die Regierungen Kriege machen; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit“, wusste schon Bertolt Brecht. Das Internet ist da, es wurde vom US-Militär mit dem Ziel der dezentralen Datenübertragung geschaffen, gerade damit uneingeschränkte Kommunikation möglich wird. Jetzt wird die Dezentralität zum Damoklesschwert, weil grenzübergreifende Gesetzgebung schwierig zu realisieren ist. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Es herauszuholen scheint zwecklos, denn das Wasser war tief.
Der Spiegel hat zweifellos recht, wenn er schreibt: „Längst ist das Internet ein Paralleluniversum. Die Refugien der Diebe, Rufmörder, Kinderschänder entziehen sich weitgehend der Kontrolle des Rechtsstaats. Nur einer transnationalen Instanz kann es gelingen, Ordnung zu schaffen. Das Ziel: die globale Netzdemokratie.“ Auch in diesem Punkt hat der Spiegel recht: „Während an der Oberfläche des digitalen Reichs tausend bunte Blumen blühen, Shopping, Chats, Schöngeistiges, wuchert im Wurzelwerk darunter ein Pilzgeflecht aus Intrigen, Täuschung und Terror.“. Indem das Netz die Freiheit der Welt vergrößert, bedroht es gleichsam ihren Frieden. Allerdings ist es falsch, die Oberfläche, die Gesellschaft dafür zu bestrafen. Indem man sie in ihren Grundrechten der Informationsfreiheit und der freien Meinung beschneidet, lenkt man das Augenmerk noch weiter weg vom Untergrund. Ihn gilt es zu observieren und auszuheben, mit modernster Technik zu sprengen. Gerade damit die Oberfläche weiß bleibt. Um dem neuen Zeitalter gerecht zu werden, bedarf es zwar auch ein neues Bewusstsein. Doch, statt zu denken, fällen die Verantwortlichen Entscheidungen in Form von Paukenschlägen, die doch nur Ausdruck ihrer Panik sind. Denken ist oberstes Gebot. Die Früchte heutiger Denkarbeit muss ausgefeilte Technik sein, gepaart mit didaktisch und medial vermittelten Bewusstseinsveränderungen. Eine präventive General-kriminalisierung kratzt hier nur an der Oberfläche! Ab in den Untergrund und rein ins kalte Brunnenwasser! Nur so würde das Übel an der Wurzel gepackt und die Freiheit gewahrt!

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