Samstag, 9. August 2008

200 illegale Downloads legal oder: Vorsprung durch Technik

Sicherlich, auch das Hören eines ausländischen Senders zu Nazi-Zeiten vor den Lautsprechern des „Volksempfängers“ (VE301) war rechtswidrig und wurde bestraft. Für das Abhören eines „Feindsenders“ wurde sogar die Todesstrafe angedroht. Zu einem entsprechenden Urteil kam es tatsächlich. In ähnlichem Duktus musste „entartete Musik“ wie „Nigger-Jazz“ den stupiden Klängen der Marschmusik weichen. Die „Gleichschaltung“ erlaubte keine Vielfalt. Weitaus gefahrloser, wenn auch nicht unumstritten bahnte sich der Fernseher den Weg in die Welt-Wohnzimmer. Sicher wurden auch hier öffentliche Falschaussagen und sonstige Fehltritte geahndet, doch das betraf die Akteure, nicht die Konsumenten. Medienkritiker aller couleur gingen zwar auch ihnen an den Kragen, sprachen von „negativem Familientisch“ oder „Nullmedium“, doch beim Fernsehen kann man sich allenfalls „zu Tode amüsieren“. In Zeiten des Web 2.0 ist das anders. Um beim Tod zu bleiben, Internetsucht hat in Korea tatsächlich zu Todesfällen wegen erschöpfungsbedingtem Organversagen geführt, doch die Bestrafung der Nutzung eines neuen Mediums ist das weitaus häufigere Problem. Niemals in der Mediengeschichte wurde der bloße Medienkonsum mehrfach geahndet als zu Zeiten des Internets. Die Macher der Technik scheinen die Rechnung ohne die Macher der Sittesregeln gemacht zu haben. Wer sich im „Kramladen des Glücks“ (Harald Hillgärtner) einen Song herunterlädt, weil er ihn weder in einem Online-Shop noch in einem anfassbaren Weltgeschäft erstehen kann, der kann sich glücklich schätzen, nicht dem "digital divide" ausgesetzt zu sein und an der Informationsgesellschaft partizipieren zu dürfen. Die technischen Möglichkeiten erlauben das Stöbern in unendlich dimensionierten Archiven aller Mediengattungen. Wer die Nutzung dieser technischen Möglichkeiten unter Strafe stellt, der geißelt damit eine Entwicklung, die demnach niemals hätte Wirklichkeit werden dürfen. Doch wie ist es dazu gekommen? Eigendynamik? Müßig darüber zu reden? Richtig, besser die Folgen eindämmen, Selbstkosmetik betreiben. Gesetze verabschieden, „Körbe“ kassieren, die Exekutive bemühen. Die Generalstaatsanwälte der Länder haben nun die Nase voll. Als hätten sie den Sinn der Medienkultur, nämlich technische Weiterentwicklung, Informationskanalisierung, Wissensentfaltung verstanden, haben sie wahrscheinlich nur die Arbeitsentlastung im Sinn. Nichtsdestotrotz beweisen sie gesunden Menschenverstand, ein doch noch ernst zu nehmendes Rechts- und Unrechtsbewusstsein. So schlagen die Generalstaatsanwälte in NRW vor, die Strafverfolgung erst ab 200 illegalen Downloads zu beginnen. Ein weiser Entschluss, lediglich den Banden das Handwerk zu legen. Hausdurchsuchungen bei Teenagern, welche ein neues Medium nichts weiter als nutzen, dürften wohl in keinem Verhältnis zur vorgeworfenen Straftat stehen. Der Volksempfänger sollten dem kleinen Geldbäutel der Menschen Rechnung tragen. Der kleine Geldbäutel von Teenagern scheint also doch ein technisches und rechtliches Pendant zur Seite gestellt zu bekommen. Selbstverständlich sollte das Urheberrecht gewahrt bleiben und das Werk der Künstler respektiert werden. Ab wann man die Grenze des Respekts überschreitet, ist sicherlich schwer zu beurteilen. Sachsen-Anhalt zieht gar die Grenze erst bei 3000 Songs oder 200 Filmen. Ein Gesetz-Entwurf bezüglich der Download-Toleranzen wird denn auch wohl nicht zu erwarten sein. Vielleicht sind ja „Radiotracker“ die modernen Volksempfänger, mit denen man ganz legal sogar aufzeichnen darf, selbst „entartete Musik“. Manchmal sollte man sich über die Folgen eines „Vorsprungs durch Technik“ Gedanken machen, bevor es zu spät ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eine sehr gute Sichtweise wie ich finde. Ich bin gespannt was da vor allem im rechtlichen Bereich noch kommt.

Guter Blog!