Sonntag, 21. Dezember 2008

Bye Bye Polylux: Besser ein Ende mit Schrecken

12 Jahre lang wurde Polylux auf die Menschheit, falsch: die „Gesellschaft“ losgelassen, jetzt ist auch die letzte Ausgabe endlich abgelaufen. „Gesellschaft“ - das kleine Wörtchen der großen Bedeutung wurde in der kleinen Sendung mit kleiner Bedeutung so häufig gebraucht wie frisch gedruckte Zeitungen in Briefkästen gesteckt werden: In jeder Sendung ein Haufen mal. An dieser Stelle sollen Bourdieu bis Luhmann nicht mit erhobenem Zeigefinger herangezogen werden, schauen wir lieber in die Polylux-Praxis. Was dem Zuschauer dort unglaubliche 12 Jahre lang als „Gesellschaft“ verkauft wurde, war in den Augen derer, die überhaupt noch Kritik an dem kleinen „Kulturmagazin“ geübt haben, nichts anderes als eine einzige Freakshow. Die Sendung war eine Randgruppenbeleuchtung unter dem Deckmantel einer „Kultursendung“, deren Zielgruppe aus Voyeuren und Gelangweilten gleichermaßen bestanden haben muss. Anders lässt sich das Interesse an „Objektophilen“, „Jumpstylern“, „Downshiftern“ und anderen Weltverklärern und Misanthropen nicht erklären. Da hilft es auch nicht – gnadenlos leichtfertig und ohne Unterscheidung - von Sub-, Pop- oder Jugendkultur zu sprechen. Die Beiträge folgten seit 12 Jahren den Kriterien „Aktualität und Relevanz“, ließ Titta von Hardenberg von sich selbst überzeugt in der letzten Sendung verlauten. Braucht es wirklich Polylux, um zu erfahren, dass viele Pizzerien in Berlin nicht von Italienern, sondern von Albanern oder Türken geführt werden, die versuchen die italienische Mentalität gegen ihre eigene Identität einzutauschen? Soll man als Zuschauer etwa honorieren, dass die Sendung dem albanischen Italiener Hassan zu Ruhm und Ehre verholfen hat, dass RTL und ZDF dem Aufruf nach „Aktualität und Relevanz“ gefolgt sind und den feurigen Albaner per Mini-Werbeauftritt zum „Fernsehstar“ katapultiert haben? Naja, da das Wort „Star“ im deutschen Fernsehen keine Bedeutung mehr hat, ist der Ausdruck immerhin gerechtfertigt, wobei ihm zum Bauern und Hartz-IV-Empfänger wohl noch einiges fehlen dürfte.

Grünenpolitikerin Renate Künast outete sich als „Polylux-Fan“, wenngleich sie eigentlich keine Beiträge verstehe. Die dargestellten Menschen hätten alle eine „Umdrehung zu viel“, aber, so zeige die Sendung, hätte schließlich jeder mal eine „Umdrehung zu viel“. Immerhin schließt sich die Grüne Powerfrau selbst mit ein.

Polylux: Gesellschaftskritik auf die feine Art. Obwohl: Sich gegenseitig mit Stühlen umzuhauen, hat mit Subtilität nicht viel gemein. „Happy Slapping“ ist bitterer Ernst in deutschen Schulen und braucht wohl alles andere als eine Kulturstilisierung (wenn auch in Form von Stühle-Wrestling). Die Welt hat viele Freaks, und das wissen nicht nur aufgeklärte Intellektuelle – spätestens seit Domian (und da darf und soll es bleiben). Ob es für die Aufklärung wirklich Polylux bedarf, lässt sich in Zweifel ziehen. Sich über das philosophische Quartett lustig zu machen ist unklug, da hilft auch nicht der Versuch, darüber Selbstkritik und Selbstironie gleich mit zu transportieren.

Im Anschluss an die Sendung Harald Schmidt übt man sich seit eh und je in nicht erreichbarer Selbstreferenz. Das eigene Outing, selbst zur Randgruppe des guten (oder schlechten?) Geschmacks zu zählen, bleibt aus, stattdessen propagiert Powerfrau Titta ihre Sendung als Ausnahme im deutschen Fernsehen und verwechselt eine Ausnahmeerscheinung fälschlicherweise mit einem Ausnahmezustand. Als sie sich am Ende ihrer Sendung selbst abmoderieren muss, sich also von sich selbst verabschieden muss, empfindet man fast Mitleid, aber als der zugegeben etwas benachteiligte Volksrepräsentant- und kommentator (Name entfallen) der Moderatorin und Mutter einen Blumenstrauß zum Abschied überreicht, wird aus Mitleid Scham. Und nach vielen zweifelhaften und getürkten Beiträgen aus der „Szene“ zieht die ARD nun endlich die Notbremse. Aus für Polylux. Bleibt zu hoffen, dass man sich jetzt umgehend den Kriterien „Aktualität und Relevanz“ widmet – und nicht mehr über eine Randgruppengesellschaft lästert, sondern für eine ausdifferenzierte Gesellschaft berichtet. Nicht mehr Dissidenten denunziert, sondern Interessenten informiert. Nicht mehr sich selbst fetischisiert und ironisiert, sondern schlichtweg Ernst nimmt.

2 Kommentare:

K. Jansen hat gesagt…

Wird hier etwa die klassische Moderation von Titta von Hardenberg nicht in dem ihr zustehenden Maße gewürdigt? Frau Künast drückt es ganz richtig aus: „Die dargestellten Menschen hätten alle eine Umdrehung zu viel.“ Ein großer Teil unserer Gesellschaft mag sich als intellektuell, eher gesagt als „normal“ oder „Spießer“ sehen, ein bisschen schlauer jedenfalls als die Spinner da im Fernsehen. Dennoch sitzt jeder da, beim „Kulturprogramm“. Big Brother, Frauentausch, Ich bin ein Star-Holt mich hier raus, Mitten im Leben, U20-Deutschland deine Teenies, Britt usw. Wenn wir ehrlich sind, sind wir doch froh, dass wir uns über die Freaks in unserer Gesellschaft beömmeln können. Wir haben diese Sendungen oder Formate zwar noch nie gesehen, wissen aber alles darüber. Sonst hätten wir ja auf der Arbeit nichts was uns von eben Dieser ablenken könnte. Und wer spricht nicht lieber darüber, wie gestern die eine Frau da bei Frauentausch ihrem Tauschpartner „Nudeln mit so was“ vorgesetzt hat, als über ernste Probleme, mit denen sich eh jeder tagtäglich herumquälen muss. Wir sind die Gesellschaft mit all unseren Höhen und Tiefen, die sich nicht immer ernst nimmt oder nehmen sollte.

Christian Hensen hat gesagt…

(Mein Lieber:), da stimme ich dir vollkommen zu. Das ist sicher ein Ansatz, den ich selber öfter mal vergessen. Aber Du redest von jemandem, der sich selbst reflektiert, bei dem was er tut. So lange das geschieht, und man genau weiß, warum man sich Britt anschaut, nämlich um mal endlich NICHTS zu sehen, der bleibt verschont von den Vereinnahmungsmechanismen des Fernsehens. Alle anderen, die unreflektiert fern schauen, sind dem hemmungslos ausgesetzt. Das könnte man kritisieren. Aber, du hast recht: Eigentlich könnte man es auch lassen.