Mittwoch, 24. September 2008

"Irgendwann stellst Du fest: Das wird alles verändern!"

Steve Jobs hat ganze Arbeit geleistet. iPods und Mac-Books verkaufen sich wie Brennholz, an der Wall Street zeigt man sich zufrieden und auch im Silicon Valley denkt lange keiner mehr an die Zeit zurück, in der Apple vom großen Bruder Microsoft überrannt wurde. Niemand hat wirklich an Apple geglaubt, doch Steve Jobs belehrt jeden Ungläubigen eines Besseren. Jetzt zieht er das nächste und wohl größte Ass aus dem Ärmel: Das iPhone. Bald schon schleicht es dem Business-Image davon und vibriert nach Aufmerksamkeit heischend in den Taschen der Otto-Normalverbraucher. Nicht Termine und Kontakte werden mehr verwaltet, Emails geschrieben und Börsenkurse verfolgt; in Zukunft werden Fun-Videos und Musikclips heruntergeladen, Community-Seiten aufgesucht, soziale Netzwerke ausgesaugt und Games gespielt– von überall, zu jederzeit. Möglich machen das Subventionierungen von Seiten der Mobilfunk- und Internetanbieter. Das iPhone wird so immer günstiger und wandelt sich auf diese Weise immer mehr vom Prestige-Objekt in einen trendigen Alltagsbegleiter. Den Apple-Funktionären dürfte diese Entwicklung nur Recht sein.
Seit einigen Werbespots wird die intuitive Handhabung des iPhones und die Bereicherung des alltäglichen Lebens propagiert. Doch Apple musste schon ihren letzten Werbespot wegen Irreführung ändern. So versprach der Computerriese Zugriff auf „das ganze Internet“, doch der Verzicht auf Java und Flash schränkt das grenzenlose Surfen erheblich ein, da sich eine Vielzahl von Internetseiten nur mit entsprechend ausgerüsteten Browsern betrachten lassen. Auch Apples einstige Kampagne zum Power Mac G5 (2004) wurde wegen dem Slogan „the world´s fastest computer“ kritisiert. Rhetorik, Vision und Wahrheit liegen bei Apple weit auseinander. Und so geht die penetrante Du-Anrede der nach Verbündung bettelnden Stimme in den Apple-Spots weiter. Und die untermalende Musik mimt die heile Welt. Die Welt wird sicher nicht heiler, doch sie wird um ein weiteres Gadget reicher.
Schnell fühlt man sich an die McLuhanschen „Extensions of Men“ erinnert. So würden nach McLuhan elektronische Medien die menschlichen Sinne erweitern und letztlich die Grenzen von Raum und Zeit überwinden helfen. Das Fernrohr erweiterte einst das Auge und ermöglichte eine menschenunmögliche Vergrößerung von Objekten, das Fernsehen brachte uns Ereignisse aus aller Welt zu jeder Zeit ins heimische Wohnzimmer und ließ uns an historischen Großereignissen kollektiv teilhaben, verwandelte die Welt in eine „globales Dorf“. Das Telefon war zu dieser Zeit ja längst schon veraltert. Sprechen und Hören, das Empfangen und Senden von akustischen Informationen gehörte längst schon zum Inventar der Medienkultur. Umso erstaunlicher, ja fast schon ironisch mutet die Renaissance des Telefons an. Sicherlich, heute ist es mobil. Aber, für wen ist mobiles Telefonieren heute noch etwas Besonderes? Es ist zweifellos das Internet, respektive Web 2.0, was das Handy derzeit so attraktiv macht. Getreu dem Vodafone-Motto: „Das echte Internet ist jetzt mobil“, brauchte es wohl erst das Internet, um das Handy wieder ins Gedächtnis zu rufen – oder ist es umgekehrt? Hübsch anzusehen, wie sich die technischen Revolutionen die Bälle zuspielen. Doch reden wir hier überhaupt über technische Revolutionen? Sind es wirklich Neuerungen, die uns Apple und Co. als solche verkaufen wollen?
Die iPods und ihre Ableger sind mittlerweile ständiger Begleiter, nicht nur von technikaffinen Menschen. Doch mitschneiden kann man diesen hochmodernen Geräten nicht. Was bei einfachen Kassettenrecordern schon im Namen steckt – das Aufnehmen - und seit Anbeginn der Geräte mitgedacht wurde, bleibt dem Nutzer von hochmoderner Apple-Technik verwehrt. Ein Schritt in die Vergangenheit? Klar, wer braucht angesichts eines USB-Anschlusses noch eine Rec-Taste, die das Aufnehmen von Musik erlaubt? Erst das iPhone scheint dem Abhilfe zu schaffen: Jetzt hat die Rec-Taste endgültig ausgedient. Sie wird vom virtuellen Download-Button ersetzt. Inhalte jeglicher Art werden dank hochleistungsfähiger UMTS-Netze in der 3G-Version des iPhones sprichwörtlich in Windeseile heruntergeladen. Und der Live-Mitschnitt des hautnah miterlebten Konzertes ist längst in hervorragender Ton- und Bildqualität zu haben. Aufnahmewürdige Veranstaltungen werden heute längst nicht mehr über die menschlichen Sinne aufgenommen. Sie werden mitgeschnitten, um sie vielleicht zu Hause oder mit anderer Begleitung in schönerem Ambiente, und vielleicht zu einer menschlicheren Uhrzeit und vor allem in aller Ruhe genießen zu können.
Schaut man sich die automatisierten Armbewegungen der Handy zückenden Massen bei Events jeglicher Art an, wird man den Verdacht nicht los, dass hier nichts „sinnliches“ mehr am Werk ist. Hier wird nichts mehr miterlebt. Hier werden keine Bilder mehr im Kopf gespeichert. Hier findet die Speicherung auf Flash-Karten statt, die das Leben festhalten, es dokumentieren. Beinahe so, als müsste man anderen oder gar sich selbst beweisen, dass man dort war, dass man teilgenommen hat am Leben, getreu dem Motto: Ich war dabei. Und was passiert, wenn die Speicherkarten gelöscht werden? Memory Erase? Life Error?
Auf den Bahnstrecken der Zukunft erfreut man sich nicht mehr eines grünen Baumes, den man passiert, macht keine überraschenden Entdeckungen mehr der Sorte: Das Haus passt hier nicht hin. Die iPhones propagieren uneingeschränkte und grenzenlose Kommunikationsmöglichkeiten. In Wahrheit sind sie das Instrument der Kommunikationsverweigerung. Und auf genau das scheinen insbesondere Bus- und Bahnfahrer lange gewartet zu haben. In Zukunft muss man sich nicht mehr der peinlichen Stille, des ungewollten Schweigens und der Angst machenden Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit anderen Mitreisenden ausliefern. Die Stille wird einfach übertönt. Das Schweigen einfach mit sich selbst gebrochen. Die Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber einfach verweigert – aus gutem Grund. Mein iPhone. Es klingelt nicht. Aber ich muss ja auch nicht mehr abheben um mich abzusondern.
In Zukunft heißt es nicht mehr, den Hörer abzuheben, sondern selbst abzuheben vom Boden der Realität. Eintauchen in die Weite des virtuellen Universums. Vielleicht ist dieses Abheben einfach Ausdruck einer Sehnsucht nach Ferne, nach Geborgenheit, Glück, Unsterblichkeit. Doch wie sterblich und verletzlich der Mensch ist, das wird er erkennen. Spätestens wenn sich die Flashkarten löschen. Das machen sie eh meist von selbst. Dann sind die Erinnerungen weg. Dann ist geschwärzt, was einmal in bunten Farben vor dem Auge flimmerte, dann ist verstummt, was einmal in schillernden Tönen die Ohren massierte, dann ist erloschen, was man einmal glaubte, erlebt zu haben.
Vielleicht täte man gut daran, mit dem Handy die notwendigen Dinge zu tun („Nur so´n Gedanke“, um eine weitere iPhone-Werbung zu zitieren). Dann ist es eine Erleichterung. Und vielleicht wäre es sinnvoll, auch dem iPhone jenen Respekt vergangener Tage zu zollen und einfach nur abzuheben (bzw. ran zu gehen), wenn es klingelt. Falls es klingelt.
„All die Jahre ist man rumgelaufen, ohne seine Emails so in der Hosentasche zu haben, ohne Börsenkurse so abrufen zu können, und ohne das Internet so dabei zu haben“, heißt es wieder einmal locker und leicht im iPhone-Werbespot. Und der säuselnde Sprecher muss selber feststellen: „Und man hat überlebt!“ Die nachfolgende Ergänzung: „Die Frage ist nur: Wie?“ mutet fast ein wenig selbstironisch an. Natürlich hat man überlebt. Das weiß Apple sehr genau. Die Frage lautet eher: Wie leben wir weiter? Die neuste der unzähligen Versionen des iPhone-Werbeclips wiegt sich in Sicherheit: „Irgendwann stellst Du fest: Das wird alles verändern.“ Warten wir´s ab!

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