Mittwoch, 23. Februar 2011

Dr. Guttenberg a.D.: Deutschland schreibt sich ab

Was für ein gesellschaftspolitischer Supergau: Da darf sich Deutschland endlich wieder an einem politischen Hoffnungsträger, einem edlen Staatsmann, einem charismatischen Heilsbringer erfreuen - einem Mann, der einer nebulösen Wertedebatte von einst endlich ein Gesicht gibt, dem Ehre, Moral, Aufrichtigkeit und Integrität noch etwas zu bedeuten scheinen. Und dann ist es just dieser Saubermann, noch dazu von edlem Geblüht, der das wohl größte Plagiatsvergehen in der deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte begangen hat. Was für eine Schande! Kein Gesicht wäre von nun an glaubwürdiger auf dem Cover von Stefan Webers Standartwerk „Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden“ als Guttenbergs. War man am Anfang dieser Debatte noch gewillt, im flüchtigen Vergessen von Fußnoten eher einen kleinen Fauxpas denn eine große Verfehlung zu sehen, steht man jetzt vor gesellschaftspolitischen Ruinen, deren letzte Mauerreste immer weiter zerfallen. Eine Doktorarbeit, die fast ausnahmslos aus nicht angegebenem Fremdmaterial besteht, hat nicht nur den Titel Doktorarbeit nicht verdient, sie lässt auch erhebliche Zweifel am moralischen Gewissen ihres Verfassers aufkommen. Dass ein solch ehrenwerter Titel aberkannt wird, steht außer Frage – und ist denn auch recht schnell geschehen. Dass die Betitelung eine tiefere Dimension hat als eine formelle Konsequenz, wird die Volksseele hoffentlich noch begreifen. Denn der Doktortitel ist ein persönliches Verdienst. Folglich ist die Erschleichung des selbigen eine persönliche Niederlage. Und die erstreckt sich nicht nur auf das wissenschaftliche Feld, sie zieht sich in dem Maße durch das Leben des Trägers, wie ihm der Titel Würde und Anerkennung verliehen hätte – ein Leben lang, in allen Bereichen.
Wir können dankbar sein über dieses recht einfach zu bewertende und ziemlich simple Debakel Guttenbergs. Es steht pars pro toto für das Politikverständnis des Verteidigungsministers. Als Meister strategischer Amtsführung versteht er es wie kein Zweiter, zu manövrieren, lavieren, zu umschiffen, sich Bahn zu brechen, zu blenden. Erst verteidigt er die Bombardierung des Tanklasters in Kundus als „angemessen“, später rudert er zurück, entlässt erst den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert wegen angeblicher Informationsvorenthaltungen, dann den Brigadegeneral Henning Hars, weil dieser ihn in einem Brief frontal angegriffen hatte. Bei der Causa Gorch Fock das gleiche Muster: Erst warnt er öffentlich davor, Vorvorurteilungen vorzunehmen, dann setzt er wenige Stunden später den Schiffskommandanten Norbert Schatz ab – angeblich zu dessen eigenem Schutz. Was zu Guttenberg hier vollzogen hat, hat nichts mit Integrität, Fürsorge und konsequentem Handeln zu tun, es schadet der deutschen Politik und es schadet der deutschen Bundeswehr. Diese aus finanziellen Gründen verkleinern zu wollen, obwohl die geplante Bundeswehrreform bis 2014 1,2 Milliarden Euro mehr kosten dürfte und das Sparziel von 8,3 Milliarden Euro aller Voraussicht nach nicht erreicht wird, ist absurd. Genau dieses Einsparvolumen hatte Guttenberg zuvor versprochen.
Und eh man sich von diesen politischen Wirren erholen kann, kommt nun also die nächste große Rückrufaktion: Am Freitag noch bezeichnete er die Plagiatsvorwürfe gegen ihn als „absurd“, heute räumt der Minister nun doch „gravierende Fehler“ ein, spricht gar von „Blödsinn“. Heute hat er Recht. Am Freitag hatte er gelogen. Hätte er gleich von einer unentschuldbaren Verfehlung gesprochen, man hätte ihm verzeihen können. Stattdessen treibt er ein absurdes Spiel mit den Medien, sperrt sie quasi aus, lässt nur wenige ihm wohl gesonnene Pressevertreter an seiner Stellungnahme im Ministerium teilhaben. Währenddessen sitzen die Hauptstadtkorrespondenten nichts ahnend in der Bundespressekonferenz. Tugendhaftes Verhalten sieht anders aus. Feiges kommt dem sehr nahe.
Man mag darüber staunen, dass derzeit 72 Prozent der Bundesbürger uneingeschränkt hinter ihrem Minister stehen. Die Gründe dafür dürften dennoch auf der Hand liegen: Erstens will sich die Volkseele nicht selbst enttäuschen, indem sie ihren einzigen politischen Hoffnungsträger entzaubert, zweitens haben die Bürger gemeinhin keine Ahnung von den Gepflogenheiten des Akademikerbetriebs, wissen nicht, wie man eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, geschweige denn eine Promotion erlangt – möglicherweise ist ein Guttenberg ohne Dr. noch näher an ihnen dran. Und drittens spüren die Menschen im Land hier wohl eine Gelegenheit, sich einmal mehr gegen die Politik aufzulehnen und die derzeit so beliebte Revolutionskeule zu schwingen. Immerhin: In der Sendung „Hart aber Fair“ hat ein Zuschauer die Tragweite erkannt und den Schummel-Skandal mit den Worten „Deutschland schreibt sich ab“ kommentiert. Dass sich die Medien auf der anderen Seite gegen ihren tragischen Helden verschworen haben, war nicht auf Anhieb zu erwarten. Allerdings ist der richtige Umgang mit Quellen- und Faktenlage das wichtigste Rüstzeug im Journalistenbetrieb. Insofern verwundert es kaum, dass sich immer mehr Journalisten in ihrem eigenen Berufsethos verletzt fühlen.
Zu Guttenberg wird sein Amt als Verteidigungsminister weiterhin ausführen. Es gäbe ohnehin keine Alternative. Denn kein anderer Politiker könnte einem so unlösbaren Problem wie Afghanistan so viel Zuversicht ausstrahlenden Glanz verleihen. Aus moralischen Gründen müsste er zweifellos das Amt niederlegen. An einem Faktum aber kommt zu Guttenberg künftig nicht vorbei: Von jetzt an darf er sich keinen einzigen Fehler mehr erlauben. Gerät sein Schiff noch einmal in Schräglage, droht ihm das gleiche wie der Gorch Fock! Seine Glaubwürdigkeit hat bereits Schiffsbruch erlitten. Sollte sich herausstellen, dass der Freiherr auch noch so frei war, seinen Lebenslauf zu schönen, kann ihn wohl höchstens noch ein geschlagener Gaddafi medial aus der Schlinge ziehen.

Montag, 29. März 2010

iPad: Ein Kunstgriff der Moderne

Medienkritiker und Internet-Pioniere wie Jaron Lanier und Nicholas Carr zweifeln. Aber sie zweifeln weniger am Erfolg des iPads, als dass sie nach wirklichen Gründen für den Misserfolg suchen. So zweifeln sie eher an ihrem eigenen Verstand. Und sie sind schlau genug, das selbst zu wissen. Wenn Nicholas Carr sagt „Das iPad ist auf keinen Fall eine sichere Wette. Es ist trotz allem immer noch eine ziemlich große und ziemlich schwere Tafel. Anders als ein iPod oder ein iPhone kann man es sich nicht in die Hosentasche oder in die Handtasche stecken. Es macht immer noch den Eindruck eines sperrigen Geräts. Das iPad wäre ideal für einen dreihändigen Menschen - zwei Hände, um es zu halten und eine weitere, um den Touchscreen zu bedienen - aber die meisten Menschen haben nun einmal leider nur ein Paar Hände“, dann erkennt er den Widerspruch seiner eigenen These selbst. Denn das iPad zieht seine Stärke gerade aus einer neu gewonnenen „Usability“, die dennoch nicht viel an „Mobility“ einbüßt. Die Stärke des iPhones lag sozusagen in „Apps-to-Go“, kleinen, nützlichen Anwendungen wie Organiser, Navigation, Maps oder Messaging. Doch lebten diese Apps eher von ihrer ortsungebundenen und vor allem schnellen Nutzung als von konstanter, auf Rezeption von Inhalten ausgelegter Kapazität. Dabei scheint es tatsächlich, als arbeite das iPad mit einer Art Reduktion. Als hätte es den viel beklagten „Information-Overkill“ erkannt, verweigert es Multitasking ebenso wie multimediale Anwendungen (Kamera, Telefon) bewusst. Steve Jobs, als „Impresario aller Mediengattungen“ (Nicholas Carr) gefeiert (und verteufelt gleichermaßen), kommt mit dem iPad seinem Ziel der Perfektionierung des „Mobile Devices“ ein großes Stück näher. All jene, die Maus, Tastatur, Programme und Funktionen vermissen, haben nicht verstanden, dass unsere gegenwärtige Medienkultur nicht im Geringsten darauf angewiesen ist. Und es bedarf erst eines Steve Jobs, uns dies vor Augen zu führen. Steve Jobs beweist mit dem iPad augenscheinlich einen Rückschritt. In Wahrheit schöpft er die wahre Essenz des Web 2.0 aus. Die liegt möglicherweise gar nicht, wie angenommen, in der Weisheit der Vielen, im Erstellen und Publizieren von Inhalten. Vielmehr haben Weblogs gezeigt, dass ihnen bei aller hin und wieder aufkeimenden Sprengkraft eine Eigenschaft zweifellos zugesprochen werden kann: sich gegenseitig zu neutralisieren. Das wiederum stellt deren Relevanz in Frage und damit auch, ob es wichtig ist, sich beteiligen zu müssen. Das iPad wird eher als eine moderne Fernbedienung denn als ein Computer gehandelt. Tatsächlich schreiten wir zurück vom „Marktplatz des Glücks“, auf dem alle möglichen Inhalte produziert und verhandelt werden, zum alt bewährten „Kramladen des Glücks“ (Harald Hillgärtner). Und dieser trägt fortan den Namen „iTunes“ - ein überdimensionierter „Kramladen“, der einzelne Musik- und Buchtitel ebenso anbietet, wie Filme, Serien oder ganze Staffeln. Wenn Jaron Lanier, Autor, Künstler, Computer-Experte, zu bekennen gibt: „Für die Menschheit wird es jedoch eher von grundlegender Bedeutung sein, ein weltweit gültiges Abkommen über die Bezahlung von Information, von geistigem Eigentum zu treffen. Sonst ist es nicht möglich, wirklich vernetzt zu sein“, dann weiß er – ebenso wie Carr – um den Widerspruch seiner These. So ist es eben das iPad selbst, was dem ohnehin mit bislang 3 Billionen Downloads viel genutzten itunes-Store in die Riege des Establishments verhilft. Und weiter gedacht, könnte dieser digitale Kramladen die Lösung aller Urheberrechtsprobleme und Rechtsverletzungen im Internet sein. Lanier beklagt zu Recht, dass es an klaren Konzepten zur Wahrung des Urheberrechts und der komfortablen Nutung von Medieninhalten gibt. Mit entsprechenden Kooperationen – was sicher noch Jahre dauern wird – könnte sich der itunes-Store zu einer allumfassenden Medienbibliothek etablieren, in der möglicherweise auch Inhalte für bestimmte Zeit ausgeliehen werden könnten. Bereits fünf amerikanische Verlage bieten bereits ihre Werke im neuen iBook-Store an. Mit erschwinglichen Preisen, komfortablen Nutzungsmöglichkeiten auf Software-Basis (dank Synchronisation und Organisation), sowie intuitiver Anwendungskapazität auf Hardware-Seite, könnte Apple ein weiterer revolutionärer Kunstgriff der Moderne gelingen. Das iPad verändert nicht nur das Denken, es vermag sogar, das Denken in vielen Bereichen zu übernehmen. Nicht mehr muss sich der Anwender ein Gerät und seine Funktionen erschließen. Vielmehr reagiert das Gerät auf die Bedürfnisse des Nutzers. So ist auch hier das iPad die ideologische Weiterführung des Web 2.0, in dem die Option des Abonnierens von Inhalten genau auf diesen Umstand setzt. Nicht mehr muss der Nutzer zu den Inhalten gelangen. Die Inhalte gelangen zu ihm. So zeichnet sich schon jetzt ab, dass das iPad nicht nur als „Fun-Machine“ und „Art-Gadget“ fungiert oder Medien vereint. Es strukturiert vielmehr die Wahrnehmungsweise seiner Nutzer. Es stellt neue bürokratische und juristische Paradigmen zur Seite – und es überführt entmaterialisierte Kultur wieder einer traditionellen, antiken Haptik. Fortan hält man Bücher, Zeitungen und Bilder doch wieder in der Hand, damit entschwinden sie nicht mehr dem Geist, sondern bemächtigen sich seiner. Vielleicht zeugt das Gefühl, die Medien in Händen zu halten, auch von einer neuen Macht – freilich einer Unbeschwerten.

Dienstag, 16. März 2010

Herangezoomt: Über den Dächern von Paris

Und dann gibt es doch wieder Dinge, die überraschen, die einen verblüffen, einen die Augen reiben lassen. Wer hier hin schaut, der träumt nicht, der kann seinen Augen trauen, der sieht tatsächlich richtig: www.paris-26-gigapixels.com. Auf der Internetseite wurde ein überdimensionaloes Stadtbild von Paris digital aufbereitet, das in nie da gewesener Qualität aufgenommen wurde. Vom Turm der Saint-Sulpice-Kirche im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés fotografiert, zeigt es Paris in schwindelerregender und atemberaubender Qualität - das größte Panoramabild der Welt. Und so sieht man neben den bekannten Pariser Monumenten auch Belangloses, Privates: Per Mauszeiger schweift man über die dichten grauen Dächerlandschaften, vorbei an bunten Häuserfassaden, rustikalen Fensterläden. Zieht von der Galerie Claudine rüber zur "La Péna Saint Germain", während man das kleine "La Chambre Clair" passiert. Was der Betrachter sieht, erhebt ihn zum Allwissenden, lässt ihn zoomen, heran an jedes Fenster, bis hinauf aufs leere Kinderbett, in dem lediglich ein Teddybär liegt. Ein Mann in lila-kariertem Hemd sitzt zurück gelehnt auf einem Stuhl, Bauarbeiter reparieren eine Häuser-Fassade in der Nähe der "Academie de France". Viele Blumenkästen scheinen unter der heißen Pariser Sonne knochentrocken, manche aufgehängte Wäsche im Wind will noch trocken werden. Und damit die Schornsteine gar nicht erst nass werden, zieren abertausende Schonsteinrohre aus braunem Kunststoff die grauen Dächer, teil mit einer Metallhaube abgedeckt, meistens jedoch ungeschützt. Der Schornsteinfeger nennt die oft überflüssigen Abdeckungen übrigens "Wohlstandshauben". Paris scheint besonders wohlständig zu sein. Das Projekt ist so atemberaubend wie verstörend, so faszinierend wie abstoßend, ein Flug, der sich manchmal wie ein tiefer Fall an fühlt. Privat ist hier nichts mehr. Zugänglich und sichtbar ist hingegen fast alles. Gesichter sind gepixelt, doch das gelingt nicht in jeder Patisserie oder Brasserie besonders gut. Das Bild wurde am 8. September 2009 bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen. Es ist aus über 2000 Einzelbildern zusammengesetzt und besteht aus 26 Billionen Pixeln (26 Gigapixel).
Zur melancholisch anmutenden Musik von Yann Tiersen aus dem Film "Die fabelhafte Welt der Amelié" lässt man also den Blick schweifen über ein verträumtes und erstrahlendes Paris unter blauem Himmel. Doch dieses Gefühl der Allwissenheit überfordert. Tausende von "Lebensentwürfen" lassen sich an den Bildschirm heranzoomen. Jedes Fenster sieht anders aus, die meisten sind geöffnet, viele Bewohner haben die Rollläden heruntergezogen, auf einer Terrasse liegt ein gelber Wasserschlauch, in einem Badezimmer hängt ein pinker Bademantel. Und während Tiersens Akkordeon weiter spielt, ertappt man sich bei der Sinnfrage. Was mache ich hier? Warum vergrößere ich jetzt. Bin ich jetzt ein Voyeur? Tatsächlich mag das Projekt so manchem Voyeur ein Paradies sein und ihm sprichwörtlich Tür und Tor öffnen. Benötigte er früher noch ein Fernglas und musste sich selbst immer vor der eigenen Entdeckung schützen, hat er jetzt freie Fahrt. Und jetzt kann er nicht nur ein Haus ins Visier nehmen, jetzt liegt ihm gleich eine ganze Stadt zu Füßen. Man mag das kritisieren. Vielleicht sollten wir es an dieser Stelle bei der Faszination belassen. Und auch wenn sich weiter denken lässt, was sich noch alles entdecken ließe, würde man diese Aufnahmequalität für ein kleineres Sichtfeld verwenden, ist man dorch irgendwie erleichtert, dass nicht Google hinter diesem Projekt steht. Paris ist übrigens nicht die einzige Stadt, die jetzt per Internet erkundet werden kann. Auch Dresden und Prag wurden mit 26 Gigapixeln aufgenommen. Mit den Abmessungen von 354.159 x 75.570 Bildpunkten ist das Pariser Panorama allerdings 733 Megapixel größer als das von Dresden.

Kommentar in stürmischen Zeiten

Wir leben in stürmischen Zeiten, und eigentlich kann einen nichts mehr wirklich überraschen. Aus diesem Grund hat dieses Weblog pausiert, hat sich selbst auf Stopp gestellt. Um durchzuatmen? Um loszulassen? Um in Stille hinzuschauen? Oder weg? Bedürfen düsetere Gegebenheiten der jetzigen Zeit Worte? Oder lassen sich gar überhaupt welche finden? Was soll noch gesagt werden zum schwarz-gelben Regierungsdesaster, zum desaströsen Staatsbankrott Griechenlands, zur Verpuffung des Obama-Zaubers, zu den verachtungswürdigen Verfehlungen der katholischen Kirche, zu der schnell wieder eingesetzten Zügellosigkeit ohnehin vermögender Manager? Und selbst im Inland schaut man manchmal lieber weg, will man sich nicht der Wortlosigkeit preisgeben. Da ist das Feuilleton außer sich ob der Plagiat-Sünderin Helene Hegemann und erhebt sie schließlich unentschlossen zur Plagiat-Künstlerin - willkommen in stürmischen Zeiten, wo der Autor längst kein Schreiber mehr ist, sondern ein Remixer. In der Computer-Branche gibt längst Apple den Ton an. Das iPad wird wieder einmal der Maßstab aller Dinge werden. Es wird den Computer revolutionieren, weil es keiner mehr ist. Es zeigt gar seine Überflüssigkeit. Private Anwendungs-Computer brauchen keine Terrabyte-Festplatten mehr und sind erst recht nicht mehr statisch. Dezentrale Datenhaltung und mobile Nutzung überall zu jeder Zeit ist das Gebot der Stunde. Notebook und Netbook haben den PC längst auf das Abstellgleis befördert. Was auch dem Technologie-Markt Apple heißt, trägt in der Filmwelt den Namen James Cameron. Der hat mit seinem Kino-Wunder "Avatar" seit dem Start im Dezember 2009 knapp 3 Milliarden US-Dollar eingenommen und stellt damit einen Besucherrekord auf. Allein in Deutschland sahen über 10 Millionen Zuschauer den teuersten Film aller Zeiten. Avatar rettet damit das Kino aus der Krise und läutet zugleich eine neue Ära ein: Die der 3D-Technik. Und das Zepter will er sich so schnell nicht mehr aus der Hand nehmen lassen: 14 Jahre nach dem Kinostart seines bislang größten Erfolgs "Titanic" will Cameron 2012 eine neue 3D-Version des Untergangs-Epos´ ins Kino bringen. Auch wenn es stürmische Zeiten sind, so bleibt zu hoffen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und den Eisberg rechtzeitig zu umschiffen wissen...

Montag, 9. November 2009

Medien. Information. Dauerrausch(en)

Wenn sich Bundespräsident Horst Köhler die Ehre eines Grußwortes anlässlich der kleinen, unauffälligen Internetseite „lyrikline.org“ gibt, dann sollte man genauer hinhören, was er zu sagen hat: „Wenn manchmal gefragt wird, wofür der Bundespräsident zuständig ist, dann sagt man gerne: Für’s Große und Ganze. Das ist auch richtig – im Großen und Ganzen. Wenn man aber genauer hinschaut, woraus das Große und Ganze denn besteht, dann wird mir immer klarer, dass es aus sehr vielen kleinen Teilen besteht.“ Damit hat er zweifellos Recht. Auf der Internetseite lyrikline.org kann man sich Gedichte von den Autoren selbst vorlesen lassen. Damit wird das älteste Medium, das Gedicht, mit dem neusten, dem Internet zusammengebracht, um allen Zugang zur Poesie zu ermöglichen. Ein ambitioniertes und lobenswertes Projekt. Im Kern geht es um etwas anders. „Weil Gedichte die dichteste, anspruchsvollste und subjektivste Art sind, Sprache zu gestalten, die Welt ins Wort zu fassen, die Existenz zum Ausdruck zu bringen.“ So kommt Köhler schnell vom Kleinen aufs Große: „Gedichte sind kleine Widerstandsnester gegen die riesige Flut an Sprachmüll, der uns täglich aus allen Medien entgegenkommt. Wir reden vom Kommunikations- und Informationszeitalter, in dem wir leben – aber oft kommt es uns so vor, als sei die Kommunikation noch nie so belanglos und als sei die Information noch nie so leer gewesen. Die Sender müssen ja rund um die Uhr senden und die Online-Dienste ihre Schlagzeilen möglichst stündlich ändern – so kommt es, dass die Sprache in eine Art Überproduktionskrise geraten ist.“ Schaut man sich die Bestrebungen vorbildlicher und gleichermaßen ambitionierter Internetjournalisten und Bloggern an – wie sie etwa mit dem „Internet-Manifest“ Ausdruck finden sollen, so scheint es, als bewegten wir uns derzeit zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite wird das Internet als Möglichkeits- und Gestaltungsraum für Diskurse aufgefasst, die über das eigene Medium hinaus reichen, und in dem qualitative Inhalte zu partizipativen Inhalten werden – nach dem Motto: „Ich schreibe, mach mit“. Auf der anderen Seite wird dieses Motto oft allzu ernst genommen und ergießt sich dann in allerhand Unernstes, das sich fernab eines Informationsmehrwertes befindet. Bundespräsident Köhler beklagt den Informations-Overkill zu Recht. Möglicherweise ist die Jugendsprache auch eine Folge dieser informellen Orientierungslosigkeit, in der man sich mit einer individualisierten, herausragenden, eine sozialen Gruppe begrenzenden Sprache Gehör verschaffen will – wenn auch nur unter Gleichgesinnten.
Ein jeder Klickt und klickt, liest und liest, hört und hört, sieht und sieht. Medien. Information. Dauerrausch. Wir verlieren uns in Bilderfluten und Sprachgebölke. Der Turmbau zu Babel könnte zum Sinnbild gegenwärtiger Medienkultur werden, in dem keiner mehr einander versteht im endlosen Gemurmel. Ist Babylon Verderb und Ausweg zugleich, wie Lorenz Engell konstatiert? Was tun? Unterbrechen, pausieren, durchatmen, sagt Köhler und sieht die Möglichkeit in einem kleinen Gedicht: „In dieser Situation stellt das Gedicht eine Unterbrechung dar. Das Gedicht unterbricht für einen Augenblick das ewige Weiterreden. Es ermöglicht ein Atemholen – vielleicht sogar einen Moment der Wahrheit und der Selbsterkenntnis. Insofern ist es eine wunderbare List, dass durch lyrikline ausgerechnet im vielleicht geschwätzigsten Medium das gelesene Gedicht diese Unterbrechung, dieses Atemholen ermöglichen kann. Man hat mir gesagt, dass die meisten Aufrufe wohl während der Mittagspause stattfinden – also dann, wenn die Menschen eine Unterbrechung brauchen – und sich dabei buchstäblich auf einen Gedankenausflug bringen lassen möchten.“ Mahnt Köhler nicht geschickt, genauer hinzuschauen? Den kleinen Dingen Aufmerksamkeit zu schenken? Das ist keine Zerstreuung, die er propagiert, er mahnt eher zur Kontemplation, ja sogar zur Konzentration. Man darf nicht müde werden, die Vielfalt als Chance zu sehen. Wenn Hingabe in Auseinandersetzung mündet, haben auch neue Medien ein gutes Werk getan. Dann ist die Hingabe nicht Orientierungslosigkeit, sondern gut begründet.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Ein überfälliges Internet-Manifest

Es war längst überfällig! Jetzt haben Journalisten, Autoren und Wissenschaftler ein „Internet-Manifest“ formuliert. 15 Verfasser haben 17 Punkte zum Wandel des Journalismus im Internet-Zeitalter aufgestellt. Übersetzt in bislang 17 Sprachen spricht sich das Manifest für einen qualitativen, die digitalen Möglichkeiten nutzenden Online-Journalismus aus. Dafür fordern die Verfasser, die Blockadehaltung von Seiten printorientierter Berufsschreiber aufzugeben und einen Wahrnehmungswandel anzustreben. So könne das Internet den Journalismus nicht nur verändern, sondern ihn sogar verbessern, heißt es bei Punkt 6. Der Verlust der printbedingten Unveränderlichkeit im Onlinemdium sei ein Gewinn, so die Verfasser. Dem ist zweifellos beizupflichten. Was hätte wohl die Frankfurter Rundschau getan, hätte sie ihre Fotostrecke über weinende Prominente mit dem Titel „Prominente Heulsusen“ in der Zeitung gedruckt (vgl. Stefan Niggermeiers Blogeintrag)? Es hätte haufenweise Leserbriefe gehagelt – und eine Gegendarstellung in Form einer Entschuldigung wäre angesichts des geschmacklosen Titels (es sind überwiegend Tränen der Trauer) fast schon geboten gewesen. Dank Online-Medium konnte die Frankfurter Redaktion den Titel mit einem Klick ändern. Er lautet jetzt „Prominente Tränen“. Zweifellos ist das Internet auch ein Ort für den politischen Diskurs, erst recht auch für den gesellschaftlichen (wie man erweitern könnte). Die Autoren konstatieren auch, dass es kein „Zuviel“ an Informationen gibt. Im Hinblick auf den Information-Overkill des Internets müsste man sicher ergänzen, dass unsere Selektionsfähigkeit zunehmend gefordert ist und sie eben auch geschult werden muss. Es ist letztlich die Wahl jedes einzelnen Nutzers, mit welchen Seiten er seinen täglichen Informationsbedarf deckt, und welche Sites seine Linklisten zieren. Gerade RSS-Feeds und Trackback-Funktionen erleichtern den Umgang mit Informationen. Die Entwicklungen in diese Richtung werden weiter gehen. Und möglicherweise ist diese große Informationskette keine Bedrohung sondern eine Chance. Im Internet würde das Urheberrecht zur Bürgerpflicht, heißt es dort auch. Dabei dürfe seine möglich werdende Verletzung nicht als Rechtfertigung für alte Distributionsmodelle dienen. Des Weiteren seien die Inhalte im Netz nicht mehr flüchtig, wie immer wieder bemängelt, sondern bleiben vorhanden und formieren sich zu einem „Archiv der Zeitgeschichte“. Nicht umsonst lautet das Diktum: Das Netz vergisst nie. Oder wie es im Manifest steht: „Was im Netz ist, bleibt im Netz.“ Im finalen Punkt fordern die Verfasser, die Recherche-Fähigkeiten der Nutzer von Seiten der Berufsrechercheure zu respektieren und mit ihnen zu kommunizieren. Auch diese Forderung ist zweifellos berechtigt. Letztlich deuten alle Punkte auf eine bestimmte Tatsache hin, die jedoch nicht ausgeführt wird. Und das wäre Punkt 18, der möglicherweise das Manifest selbst ad absurdum führen würde: Die Unterscheidung zwischen Leser und Autor ist hinfällig geworden. So sind die passiven Nutzer von einst die neuen Schreiber: Autoren, Journalisten, Verfasser. Das Netz ist die Erfüllung zahlreicher mediengeschichtlicher- und philosophischer Utopien: Schon Walter Benjamin wusste: Indem das Schrifttum an Breite gewinnt, was es an Tiefe verliert, gewinnen die Leser einen Zugang zur Autorschaft. Auch Berthold Brechts Forderung, den Rundfunk in einen beidseitig offenen Kommunikationsapparat zu wandeln und ihn vom reinen Zustand des Lieferantentums zu befreien, ist im Netz längst Wirklichkeit geworden. Diese Entwicklung hin zu masssenweiser Autorschaft (Norbert Bolz; Christian Hensen) muss nicht das Aus für qualitativen Journalismus bedeuten. Vielmehr ist er gefordert, noch besser zu werden und sich den Herausforderungen einer ernst zu nehmenden Gegenöffentlichkeit zu stellen. Zunehmend entdecken Zeitungsredaktionen die partizipativen Möglichkeiten, mit Lesern in Kontakt zu treten. So schreiben die Redakteure Weblogs, Twittern oder sind in sozialen Netzwerken aktiv. Es bleibt abzuwarten, ob sich Synergieeffekte entwickeln und wie man diese am besten nutzt. Eine Ignoranz neuer Medien von Seiten der alten Medien würde langfristig gesehen zur Selbstzerstörung führen. Das Internet-Manifest stellt fest, rüttelt wach, fordert. Es wurde bislang heftig diskutiert. Der Diskurs findet noch ausschließlich im Internet statt. Er muss diese Grenzen endlich überwinden!

Das Internet-Manifest wird nachfolgend in voller Länge „abgedruckt“:

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1. Das Internet ist anders.

Es schafft andere Öffentlichkeiten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. Die Medien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität anpassen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln - das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein.

2. Das Internet ist ein Medienimperium in der Jackentasche.

Das Web ordnet das bestehende Mediensystem neu: Es überwindet dessen bisherige Begrenzungen und Oligopole. Veröffentlichung und Verbreitung medialer Inhalte sind nicht mehr mit hohen Investitionen verbunden. Das Selbstverständnis des Journalismus wird seiner Schlüssellochfunktion beraubt - zum Glück. Es bleibt nur die journalistische Qualität, die Journalismus von bloßer Veröffentlichung unterscheidet.

3. Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet.

Für die Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt gehören Angebote wie Social Networks, Wikipedia oder Youtube zum Alltag. Sie sind so selbstverständlich wie Telefon oder Fernsehen. Wenn Medienhäuser weiter existieren wollen, müssen sie die Lebenswelt der Nutzer verstehen und sich ihrer Kommunikationsformen annehmen. Dazu gehören die sozialen Grundfunktionen der Kommunikation: Zuhören und Reagieren, auch bekannt als Dialog.

4. Die Freiheit des Internet ist unantastbar.

Die offene Architektur des Internet bildet das informationstechnische Grundgesetz einer digital kommunizierenden Gesellschaft und damit des Journalismus. Sie darf nicht zum Schutz der wirtschaftlichen oder politischen Einzelinteressen verändert werden, die sich oft hinter vermeintlichen Allgemeininteressen verbergen. Internet-Zugangssperren gleich welcher Form gefährden den freien Austausch von Informationen und beschädigen das grundlegende Recht auf selbstbestimmte Informiertheit.

5. Das Internet ist der Sieg der Information.

Bisher ordneten, erzwungen durch die unzulängliche Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffentliche Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun richtet sich jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter ein, während Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekanntem Umfang erschließen. Der einzelne Mensch kann sich so gut informieren wie nie zuvor.

6. Das Internet verändert verbessert den Journalismus.

Durch das Internet kann der Journalismus seine gesellschaftsbildenden Aufgaben auf neue Weise wahrnehmen. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich ständig verändernder fortlaufender Prozess; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in dieser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue journalistische Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.

7. Das Netz verlangt Vernetzung.

Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.

8. Links lohnen, Zitate zieren.

Suchmaschinen und Aggregatoren fördern den Qualitätsjournalismus: Sie erhöhen langfristig die Auffindbarkeit von herausragenden Inhalten und sind so integraler Teil der neuen, vernetzten Öffentlichkeit. Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermöglichen überhaupt erst die Kultur des vernetzten Gesellschaftsdiskurses und sind unbedingt schützenswert.

9. Das Internet ist der neue Ort für den politischen Diskurs.

Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Die Überführung der politischen Diskussion von den traditionellen Medien ins Internet und die Erweiterung dieser Diskussion um die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ist eine neue Aufgabe des Journalismus.

10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.

Artikel 5 des Grundgesetzes konstituiert kein Schutzrecht für Berufsstände oder technisch tradierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die technologischen Grenzen zwischen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Qualitativ zu unterscheiden ist nicht zwischen bezahltem und unbezahltem, sondern zwischen gutem und schlechtem Journalismus.

11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information.

Es waren einst Institutionen wie die Kirche, die der Macht den Vorrang vor individueller Informiertheit gaben und bei der Erfindung des Buchdrucks vor einer Flut unüberprüfter Information warnten. Auf der anderen Seite standen Pamphletisten, Enzyklopädisten und Journalisten, die bewiesen, dass mehr Informationen zu mehr Freiheit führen - sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

12. Tradition ist kein Geschäftsmodell.

Mit journalistischen Inhalten lässt sich im Internet Geld verdienen. Dafür gibt es bereits heute viele Beispiele. Das wettbewerbsintensive Internet erfordert aber die Anpassung der Geschäftsmodelle an die Strukturen des Netzes. Niemand sollte versuchen, sich dieser notwendigen Anpassung durch eine Politik des Bestandsschutzes zu entziehen. Journalismus braucht einen offenen Wettstreit um die besten Lösungen der Refinanzierung im Netz und den Mut, in ihre vielfältige Umsetzung zu investieren

13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.

Das Urheberrecht ist ein zentraler* Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet.
*) Stilblüten-Alarm aufgehoben

14. Das Internet kennt viele Währungen.

Werbefinanzierte journalistische Online-Angebote tauschen Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbebotschaften. Die Zeit eines Lesers, Zuschauers oder Zuhörers hat einen Wert. Dieser Zusammenhang gehört seit jeher zu den grundlegenden Finanzierungsprinzipien für Journalismus. Andere journalistisch vertretbare Formen der Refinanzierung wollen entdeckt und erprobt werden.

15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.

Das Internet hebt den Journalismus auf eine qualitativ neue Ebene. Online müssen Texte, Töne und Bilder nicht mehr flüchtig sein. Sie bleiben abrufbar und werden so zu einem Archiv der Zeitgeschichte. Journalismus muss die Entwicklungen der Information, ihrer Interpretation und den Irrtum mitberücksichtigen, also Fehler zugeben und transparent korrigieren.

16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.

Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.

17. Alle für alle.

Das Web stellt eine den Massenmedien des 20. Jahrhunderts überlegene Infrastruktur für den gesellschaftlichen Austausch dar: Die “Generation Wikipedia” weiß im Zweifel die Glaubwürdigkeit einer Quelle abzuschätzen, Nachrichten bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen und zu recherchieren, zu überprüfen und zu gewichten – für sich oder in der Gruppe. Journalisten mit Standesdünkel und ohne den Willen, diese Fähigkeiten zu respektieren, werden von diesen Nutzern nicht ernst genommen. Zu Recht. Das Internet macht es möglich, direkt mit den Menschen zu kommunizieren, die man einst Leser, Zuhörer oder Zuschauer nannte - und ihr Wissen zu nutzen. Nicht der besserwissende, sondern der kommunizierende und hinterfragende Journalist ist gefragt.

Internet, 07.09.2009

Wer dabei mithelfen möchte, diesen Text weiterzuentwickeln, kann das gerne hier tun.

[Update: ] Nachgereichter Beipackzettel von Stefan Niggemeier

Quelle: Internet-Manifest

Montag, 19. Oktober 2009

Frankfurter Buchmesse: Angst vor dem E-Book

Die Krise hat auch die Buchmesse in Frankfurt erreicht. Aber es gibt weder zu wenig gute Bücher noch gibt es zu wenig interessierte Leser. Die Krise betrifft das Dazwischen. Wie kann man Leser und Bücher über unterschiedliche Kanäle zusammenbringen? Und wie lässt sich dabei obendrein noch etwas verdienen? Antworten auf die Fragen verlangen nach einem Umdenken, nach einer Auflösung festgefrorener Strukturen, die einem von Bewegung abhängigen Buchmarkt die Dynamik entzieht. E-Book heißt das Gebot der Stunde. Gerade schon aus der Taufe gehoben, gilt es fast schon als Mythos. Es ist ein neues Medien-Dispositiv zwischen Hoffnung und Bangen. Vielen Verlegern treibt das E-Book gar die Angstperlen auf die Stirn - aus Sorge vor Urheberrechtsverletzungen durch illegale Downloads. Angesichts einer überschaubaren Zahl von 65.000 verkauften E-Books in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres, ist das E-Book bislang ohnehnin kein Frontalangriff auf das „physische Buch“ (zum Vergleich: In den USA werden 10 Mal so viele pro Woche verkauft). Vielmehr müssen beide Medienformen, das gedruckte und gescannte Buch eine sinnvolle Verbindung eingehen. Das pünktlich zur Buchmesse in Deutschland erhältliche Lesegerät „Kindle“ von Amazon ist ein wichtiger Schritt in die mediale Zukunft. Jedoch muss sich der Reader hinsichtlich Komfortabilität und Alltagstauglichkeit erst noch bewähren. Die Buchmesse muss zum Anlass genommen werden, einen öffentlichen Diskurs über digitalisierte Bücher und elektronische Formate zu führen. Zudem müssen Strategien für die Eindämmung der illegalen Nutzung entwickelt werden. Es schadet keineswegs, wenn sich die neue Regierung unter Kanzlerin Merkel dieses Projekt auf die Fahnen schreibt, denn nach Milliarden Einbußen auf dem Musikmarkt durch illegale Downloads droht nun das gleiche Dilemma für eingescannte Buchtitel. Auch diese können über einschlägige Filesharing-Programme mühelos aus dem Netz heruntergeladen werden. Viele E-Book-Verlage versuchen den illegalen Anbietern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig das neue Medium E-Book den potentiellen Käufern näher zu bringen: Indem sie kostenlose Downloads ganzer Bücher auf den Verlagspages anbieten. Diese Präsente sind ganz nett, aber auch hier ist fraglich, ob sie nachhaltigen Erfolg bringen werden.
Auf der ersten „Tools of Change“ (TOC-) Konferenz am Rande der Frankfurter Buchmesse, auf der unter der Schirmherrschaft von Web 2.0-Erfinder Tim O´Reilly über die Digitalisierung des Buches diskutiert wurde, lautete denn auch die zentrale Botschaft: We just don´t know. Es gibt bislang noch keine Zahlen über einscannte Buchtitel, illegale Downloads und vor allem über deren Auswirkungen auf das traditionelle Buchgeschäft. Und zum Zahlenmangel gesellt sich der Erfahrungsmangel. Wie wird sich das E-Book entwickeln, welches Standartformat wird sich etablieren, welches Lesegerät wird sich durchsetzen, und gibt es in Europa überhaupt einen Markt für das elektronische Buch, eine Leserschaft, die wie in den USA ihr Geld auch für E-Books auszugeben bereit ist? Wie bereits erwähnt, sind 65.000 hierzulande verkaufte E-Books nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die zentrale Frage muss lauten: Wie kann man potentielle Käufer für das Medium E-Book nicht nur gewinnen, sondern sie auch begeistern: Ein paar Punkte könnten etwa sein: 1. Das E-Book auf dem Reader gelesen, vergilbt, verknickt, verblasst nicht. Es ist dauerhaft archivierbar. Sofern eine sichere Datenhaltung garantiert ist. 2. Es kann auf dem beleuchteten Display vielleicht komfortabler gelesen werden, als ein Buch im Halbdunkel des Zuges. Die Taschenlampe unter der Bettdecke hat also ausgedient. 3. Der Reader ist leichter als das Buch. Und er beherbergt nicht nur ein einzelnes Buch, sondern hat Platz für eine ganze Bibliothek. Das Bestreben, das gesamte Weltwissen portabel zu machen, trägt die ersten Früchte. Die Hochleistungsscanner von Google laufen auf Hochtouren. Die Anwälte und Verlagschefs geben sich millionenfach die Klinke in die Hand. 4. E-Books sind größtenteils günstiger als gedruckte Bücher und könnten so mehr Käufer anlocken. 5. Sie könnten zudem attraktiver sein, wenn die Verlage – wie bei DVDs - Bonusmaterial zusätzlich anbieten würden. 6. Schließlich trägt der Reader multimedialen Anforderungen Rechnung, und kann Text ebenso wie Hörbücher und Bildmaterial abspielen. So könnte Lesen in Zukunft zu einem multimedialen, alle Sinne ansprechenden Erlebnis werden, wenn man seine Vorteile in einer digitalen Leseumgebung zu nutzen weiß. In diesem Zirkus sind alle Akteure gefragt: Verleger, Politiker, Juristen, Marketingstrategen, Programmierer, Wissenschaftlicher, Psychologen… und schließlich die Leser selbst. Bleibt nur zu hoffen, dass Apple und Konsorten nicht auch noch einen Reader mit Telefonfunktion auf den Markt werfen. Das würde auch dem E-Book schon den Garaus machen, bevor es sich etabliert hat.